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  • Ich bin gesichtsblind

    Ich bin gesichtsblind

    In meiner Abizeitschrift war neben dem obligatorischen Steckbrief zu jedem einzelnen Schüler der Stufe auch eine fiese Denunziations- Klatschspalte abgedruckt, in der die Mitschüler anonym etwas über die betreffende Person sagen konnten. Unnötig zu erwähnen, dass  unter der Rubrik „Und das sagen Deine Mitschüler über Dich“ bei unbeliebten Schülern schnell unschöne Dinge zusammen kamen, die man seiner Schwiegermuddi in Spe eines Tages lieber nicht zeigen würde.

    Unter meinem Grinsefoto stand in besagter Rubrik neben anderen kleineren Gemeinheiten der mysteriöse Satz:

    „Siehst Du uns eigentlich?“

    Bis heute weiß ich natürlich nicht, wer diese Frage an mich formuliert hat und es ist mir auch von Herzen wurscht. Ich muss aber gestehen, dass ich noch lange nach dem Abi gerätselt habe, was diese Frage denn nun genau zu bedeuten hat.

    Mach mal den Test hier!

    Unser zehnjähriges Abi-Jubiläum liegt jetzt auch schon wieder ein paar Jahre zurück und die oben zitierte, an mich gerichtete Frage hatte längst aufgehört mir Kopfzerbrechen zu bereiten, als mein Bruder mir eines Tages eine Mail schickte, in der er berichtete, dass er im Netz einen Artikel über Menschen gefunden habe, die außergewöhnliche Fähigkeiten hatten. Und zwar auf dem Gebiet des Gesichter-merkens. Er habe da recherchiert und einen Test des Birbeck Colleges der renommierten University of London gefunden mit dem er seine These, wonach auch er sich sehr gut Gesichter merken könne, nun wissenschaftlich erhärten könne.

    Unterschiede

    Nun ist es so, dass mein Bruder und ich uns in unserem Sozialverhalten tatsächlich stark voneinander unterscheiden: Während er sehr gut auf Leute zugehen kann und dauernd überall neue Freundschaften knüpft, ist genau das eher nicht so meins. Wenn ich früher auf einer Party niemand kannte, kam ich schwer mit Leuten ins Gespräch. Die Fähigkeit zum Smalltalk habe ich erst nach 10 Monaten Zivildienst im Altenheim erlernt. Wenn Du da mit 90-jährigen Omis nicht lernst übers Wetter zu plaudern, dann schweigst Du halt 10 Monate. Wollte ich nicht, deshalb lernte ich, über meinen Schatten zu springen. Mein Bruder musste sich diese Fähigkeit anscheinend aber nie erarbeiten, er hatte sie einfach.

    Gesichter merken fiel mir schon immer schwer

    Dass ich mir nicht so gut Gesichter merken oder diese wiedererkennen kann, ist mir schon immer irgendwie bewusst gewesen. Im Gegensatz zu meiner Unfähigkeit mir Namen zu merken, beruht diese Schwäche aber nicht auf Faulheit, sondern auf ehrlichem Unvermögen. Als mein Bruder mir in besagter Mail schrieb, er habe den Test zum Gesichter-erkennen gemacht und dabei 100 Prozent Erfolgsquote gehabt und mich dann auch noch fragte, ob das bei uns in der Familie vielleicht genetisch sei, schwante mir schon, dass wir beide hier wohl unterschiedliche Testergebnisse einfahren würden.

    Ich schrieb:

    Den Test mach ich später mal und prognostiziere für mich ca. 0 %.

    Und fügte noch hinzu: „Ich bin voll gesichtsblind!“ Zwinker-Smiley.

    Unterdurchschnittlich

    Foto aus dem Test der Uni London (© Birkbeck, University of London)

    Im Test bekommt man in einem ersten Schritt ein menschliches Gesicht aus drei Perspektiven zu sehen. Es handelt sich um schwarz-weiß Fotos echter Menschen, bei denen nur Kinn, Mund, Nase, Augen, Wangen, Stirn zu sehen sind. Keine Ohren, keine Frisuren. Nachdem man diese drei Perspektiven gesehen hat, werden einem drei weitere Köpfe gezeigt und man muss über die Tastatur die Nummer des Kopfes auswählen, den man zuvor gezeigt bekommen hat.

    Bis dahin noch easy und keiner Herausforderung. Danach wird’s aber schwieriger: In einem zweiten Schritt bekommt man für 20 Sekunden 6 der Gesichter zu sehen und muss dann danach aus drei Gesichtern eins auswählen, was man zuvor erkannt hat. Dabei werden aber die Gesichter von drei Seiten gezeigt (links,rechts, vorne).

    Spätestens hier war ich auf wildeste Mutmaßung angewiesen und drückte einfach irgendwelche Tasten. Die Testauswertung am Ende war für mich ähnlich verheerend wie Trumps Bilanz als Präsident.

    Your accuracy in the experiment was: 60%

    The average score on this test is around 80% correct responses for adult participants.
    A score of 60% or below may indicate face blindness.

    Autsch.

    Die sind doch alle uniformiert

    Ich begann nachzudenken und zu reflektieren. Am Ergebnis des Tests gab es keinen Zweifel: Beim ZDF Vorabendkrimi neulich hielt es der Regisseur für eine tolle Idee, zwei Hauptrollen mit jungen rothaarigen Frauen zu besetzen. Wer macht denn sowas?!? Ich jedenfalls hatte Probleme, der Handlung zu folgen. War das nicht die Freundin von dem einen Typ da, der…? Ne, doch nicht. War die Andere. Hä?

    Erst kürzlich habe ich beruflich einen Vortrag auf einer Management-Tagung gefilmt, bei dem ich im Anschluss noch Stimmen zum Vortrag für eine Umfrage mit der Kamera einzufangen hatte. Dummer Weise war dort direkt nach dem Vortrag Mittagspause, weshalb plötzlich alle Anzugträger wild durcheinander wuselten und ich erhebliche Mühe hatte, mir zu merken, wen von den ganzen Gestalten ich schon nach einem O-Ton gefragt oder sogar schon vor der Kamera hatte. Was müssen die auch alle Business-Tarn von Hugo Boss tragen, ehrlich!

    Ich bin gesichtsblind/habe Prosopagnosie

    Sehen für mich alle gleich aus.[Игорь Мухин (CC BY-SA 3.0)]

    Bevor ihr euch jetzt fragt, ob ich euch beim nächsten Wiedersehen wohl noch erkennen werde: Ja, werde ich. Nein, ich bin nicht dement. Auch wenn ich im Bus oder auf dem Flur mal an euch vorbeirenne, bin ich nicht arrogant – ich erkenne nur nicht immer jeden sofort.

    Gesichtsblindheit ist tatsächlich eine Art „Krankheit“ oder besser: eine Schwäche und nennt sich wissenschaftlich Prosopagnosie. Bedeutet aber ganz und gar nicht, dass ich absolut keine Gesichter erkennen kann.

    Ich muss mich lediglich mehr anstrengen Personen zu identifizieren. Ein Gesicht ist für mich erst mal kein Wert an sich. Wenn ich Personen unterscheiden will, helfen mir dabei meist Faktoren wie Frisur, Haut- oder Haarfarbe, Kleidung, Statur, Stimme, Mimik oder Gestik. Manchmal sogar Geruch. Aber eher selten.

    Wenn also jemand, den ich zum ersten Mal sehe, eine besonders große Nase hat, blond und einen Meter achtzig groß ist, dann erkenne ich ihn problemlos wieder – es sei denn er steht zufälliger Weise genau neben jemandem, der auch eine besonders große Nase hat, blond ist und einen Meter achtzig groß. Dann wirds für mich knifflig.

    Für mich persönlich völlig undurchschaubar sind dann Sendungen wie „Germanys Next Topmodel“ oder „Der Bachelor“: Das dort propagierte Schönheitsideal von jungen, symmetrischen, langhaarigen und langbeinigen Supermodel-Frauen macht eine Unterscheidung der Teilnehmer für einen Prosopagnostiker wie mich schon mal ziemlich schwer. Und dann stylen die sich ja auch noch dauernd um, verändern ihren Look – Tarnkappe hoch zehn! Gut, auf der anderen Seite ist von solchen Sendungen ja eh keine anspruchsvolle Handlung voller intellektueller Verflechtungen zu erwarten – da fällt es dann gar nicht auf, da ist es ja eh irgendwie Teil des Konzepts, dass alle Barbies gleich aussehen.

    Und wenn wir schon mal beim Thema Intellekt sind: Ganz witzig finde ich übrigens, dass Hochbegabte besonders oft von Prosopagnosie betroffen sein sollen. Behauptet jedenfalls der WDR.

    Irreführende Bezeichnung

    Das Wort „Gesichtsblindheit“ bzw. die Formulierung „gesichtsblind sein“ ist tatsächlich etwas irreführend: Beides suggeriert, dass man seine Mitmenschen nicht wiedererkennen kann. Dieses generelle Unvermögen haben aber nur Menschen mit einer schweren Hirnschädigung. Sie können Gesichter wirklich nicht erkennen  oder verlieren die Fähigkeit zur Gesichtserkennung und -zuordnung.

    Das ist bei mir natürlich nicht der Fall. Nimmt man mir aber – wie im Test der Uni London – durch schwarz-weiß Fotos Faktoren wie Augen, oder Hautfarbe weg, nimmt man mir Frisuren und Ohren, dann komme ich bei Gesichtern ins Schwimmen. Dann versuche ich mir zu merken, ob der Mund schmal ist, oder die Wangenknochen ausgeprägt. Ob die Augenbrauen buschig sind oder die Nase breit. Kurz gesagt: Ich entwickele Strategien, um klar zu kommen.

    Und deshalb ist mir wie vermutlich vielen Prosopagnostikern bisher nie so recht bewusst gewesen, dass mir etwas fehlt. Da draußen laufen also mit Sicherheit ganz viele „Gesichtsblinde“ wie ich rum, ohne es zu merken. Ein Farbenblinder weiß ja auch nicht von Geburt an, dass er farbenblind ist.

    Die Frage des anonymen Mitschülers aus der Abizeitung „Siehst Du uns eigentlich?“ kann ich also jetzt endlich ein für allemal beantworten:

    Ja, aber ich muss mir mehr Mühe geben euch zu erkennen – und vielleicht will ich das bei manchem auch einfach gar nicht.

  • Top 10: TV-Serien-Intros

    Top 10: TV-Serien-Intros

    Weil lieblos zusammengeschusterte Top 10-Listen in Kombination mit reißerischen clickbait-Antexten in sozialen Netzwerken („Nummer 7 hat mich echt überrascht!!1!“) grade eh beim dummen Klickvieh Leser besser ankommen als aufwändig recherchierter Faktenjournalismus („Lü-gen-presse! Lü-gen-presse!“) und ich sowieso dauernd vor der Glotze hänge, sagte mir meine innere Stimme eines Tage: „Mach was draus!“

    Und hier ist sie, meine Top 10 Liste der besten Intros aktueller Serienhits von Netflix, Amazon und Co!

    Einzige Kriterien für mein Ranking: Serie nicht älter als von 2010 und – ganz wichtig – sowohl Intro als auch Serie müssen mir gefallen haben. Voilà!

    (Die Reihenfolge des Rankings stellt nicht notwenigerweise eine Wertung dar.)

    Ach, und einfach weil ich’s kann: Es sind 13. Serien-Intros.

    Aber „Top 10“ klingt halt geiler. Clickbait und so. Reingefallen, ätsch!

    Und los geht’s!

    01. The Walking Dead

    Was genau? Titelsong von „The Walking Dead“ (AMC, 7 Staffeln, Start: 2010), komponiert von Bear McCreary

    Warum es so cool ist: Dieses Intro versetzt einen von der ersten Sekunde in innerliche Unruhe. Die Streicher scheinen förmlich zu rufen: „Achtung, Zombies! Überall!“. Das Ganze schwillt so lange bedrohlich an, bis der Höhepunkt erreicht ist. Klingt schlüpfig, ist aber so. Dazu noch die gruseligen Bilder von Verfall und Vergänglichkeit – willkommen in der Zombie-Apokalypse, ihre Bestellung bitte!

    Komponist Bear McCreary hat übrigens auch den Titelson zu „Outlander“ geschrieben.

    02. Game of Thrones

    Was genau? Tietelsong von „Game of Thrones“ (HBO, 6 Staffeln, Start: 2011), komponiert von Ramin Djawadi

    Warum es so cool ist: Ähnlich wie beim Intro von „The Walking Dead“ ist das GoT-Intro einer jener Vorspanne, die Fans sofort lossabbern lassen. Das Junkie-Hirn schreit: „Gib, gib, gib!“ und merkt gar nicht, dass es jetzt erst mal über eine Minute dreißig mit einem animierten Flug über die sieben Königslande hingehalten wird, der – wenn man ehrlich ist – ein wenig an eines jener Flugsimulator-Fahrgeschäfte aus einem 90er-Jahre Freizeitpark erinnert. Egal! Die pumpenden Geigen und Cellos, die Bläser und die wummernden Pauken machen Bock auf ein Fantasyabenteuer mit Rittern, Drachen und nackten Ärschen. Her damit!

    Der Komponist des Intros wurde übrigens in Duisburg geboren, wurde von Hans Zimmer gefördert und ist u.a. für die Teitelmelodien zu „Prison Break“, „Westworld“ und „Iron Man“ verantwortlich gewesen.

    03. BoJack Horseman

    Was genau? Titelsong von „BoJack Horseman“ (Netflix, 3 Staffeln, Start: 2014), komponiert von Patrick und Ralph Carney

    Warum es so cool ist: Ungelogen: Eins meiner Lieblingsintros. Die ersten ca. 20 Sekunden irritieren durch einen seltsamen Synthesizer-Brei, der gerade noch in dem Maße ertragbar ist, dass man neugierig dranbleibt, um dann endlich (!) durch eine volle Breitseite Saxophon-Power das Pony geföhnt zu bekommen. Ganz ehrlich: Die Saxophone machen’s aus. Dazu die interessante Kameraperpektive, die immer auf dem Hauptdarsteller, dem herrlich miesepetrig-abgehalfterten Fernseh(zirkus)pferd BoJack Horseman bleibt. Als der am Introende in den Pool fällt, kommt sogar ein kurzer James Bond-Moment auf und das einsame Sax am Ende erinnert ein wenig an das Ausklingen des Intros einer anderen großen noch größeren Animationsserie: Das der Simpsons.

    Einer der Komponisten des Intros, Patrick Carney, ist ürbigens Drummer bei The Black Keys.

    Ach, und wenn wir schon über das BoJack-Intro sprechen, müssen wir auch über das herrlich blödelige Outro von Grouplove sprechen, das es am Ende der meisten Folgen zu sehen gibt. Ob man will oder nicht: Das Ding geht (genau wie das Intro) ins Ohr.

    04. Better Call Saul

    Was genau? Titelsong von „Better Call Saul“ (AMC, 2 Staffeln, Start: 2015), komponiert von Dave Porter, gespielt von der Band „Little Barrie“

    Warum es so cool ist: „Waaaas? Er nimmt das Intro von Better Call Saul in seine Liste und lässt das von Breaking Bad raus – WTF!?“ Ja, tut er. Ich weiß auch nicht: Die 5 Sekunden, die bei Breaking Bad als Intro durchgehen sind wirklich cool und auch sie machen Bock auf die Serie. Aber ich ziehe diesen ca. 5 Sekunden die ca. 13 Sekunden von Better Call Saul vor. Warum? Weil nichts so sehr meinen Drang nach Vollständigkeit abfuckt wie die fehlende Sekunde des bluesigen Gitarrengeplänkels ganz am Ende. Schocker!

    05. Stranger Things

    Was genau? Titelsong von „Stanger Things“ (Netflix, 1 Staffel, Start: 2016), komponiert von Michael Stein und Kyle Dixon

    Warum es so cool ist: Ganz ehrlich: Ich liebe dieses Intro. Es fängt (genau wie die ganze Serie) perfekt dieses 80er Jahre-Feeling ein. Glaubt mir, ich wurde in den 80ern geboren und habe lange mit einem Computer (C64) aus den 80ern gearbeitet gespielt. Das Stranger Things-Intro fühlt sich so an wie 5 Minuten Warten, bis „Gianna Sisters“ geladen ist: Toll! Diese blubbernden Synthies, diese zurückgenomme Optik. Nur Neonschrift. Dieses E.T.-nach-Hause-telefonieren-Gefühl, konnte vorher nur der Film „Super 8“ zurückbringen – bis Stanger Things um die Ecke kam. Außerdem ist schon das Intro so geheimnisvoll und stilvoll gruselig wie die ganze Serie.

    06. True Detective (Erste Staffel)

    Was genau? „Far from Any Road“ von The Handsome Family, Titelsong von „True Detective“ (HBO, 2 Staffeln, Start: 2014)

    Warum es so cool ist: Guckts euch an. Es ist einfach cool. Punkt. Um es etwas genauer zu sagen: Das Intro von True Detectiv ist ein Kunstwerk. Der Komponist des Songs hat auch schon für Größen wie B.B. King, Willie Nelson, Elton John oder Elvis Costello porudziert. Der Titelsong der Alternative Country-Band „The Handsome Family“, die optische Umsetzung des Intros und die einzelnen Folgen sind einfach viel lässiger als ihre Entsprechungen von Staffel zwei der Serie. Guckt man das Intro zum ersten mal, weiß man sofort: Hier gibt’s gleich menschliche Abgründe zu sehen. Und ähnlich wie bei GoT vergehen die Einsdreißig wie im Flug. Gran-di-os.

    07. Masters of Sex

    Was genau?  Titelsong von „Masters of Sex“ (Showtime, 4 Staffeln, Start: 2013), komponiert von Michael Penn

    Warum es so cool ist: Weil es ums Bummsen geht. So einfach. Das Intro von Master of Sex ist quasi die konsequente Fortführung der „Stellvertretung-für Sex-Szenen“ aus dem Kultfilm „Die Nakte Kanone 2 ½“. Das Ganze als ungezogener Tango – zwinker, zwinker! Komponist Michael Penn ist übrigens ein Bruder von Schauspieler Sean Penn.

    08. Luke Cage

    Was genau? Titelsong von „Luke Cage“ (Netflix, 1 Staffel, Start: 2016), komponiert von Adrian Younge und Ali Shaheed Muhammad

    Warum es so cool ist: Weil es so schwarz ist. Ja genau: Es bringt dieses Feeling des 70er-Jahre-Blaxploitation-Kinos, in dem Afroamerikaner erstmals als selbstbewußt und cool dargestellt wurden, zurück und lässt einen an Isaac Hayes und Shaft denken. Es hat aber auch diesen 90er-Jahre-Hip-Hop-Vibe, was kein Wiederspruch ist, denn in den 90ern wurde im Hip Hop gerne Soul aus den 70ern gesampelt, und: Einer der beiden Komponisten des Luke Cage-Intros (Shaheed Muhammad) ist zufälliger Weise ein Mitglied der Kult-Rapgruppe „A Tribe Called Quest“. Na wenn das mal nicht geil ist… Das Intro passt einfach wie Arsch auf Eimer und hat mindestens genau so viel Punch wie der Serienprotagonist.

    09. House of Cards

    Was genau? Titelsong von „House of Cards“ (Netflix, 4 Staffeln, Start: 2013), komponiert von Jeff Beal

    Warum es so cool ist: Weil es eine treibende, wummernde Bassline, Streicher, fette Bläser und gegen Ende sogar eine (gefühlt) fette Walküre auffährt. Das volle Programm also. Dazu optisch dieses time lapse-Meisterwerk, das den hektisch-wuselnden Politikbetrieb Washingtons greifbar macht, in dem Korruption, Affären und dunkle Machenschaften bestimmt an der Tagesordnung sind, glaub ich sofort! Schön und abgründig zugleich. Jeff Beal soll die 17 Streicher des Intros übrigens in seinem Wohnzimmer selbst eingespielt haben, so will es die Legende.

    10. Modern Family

    Was genau? Titelsong von „Modern Familiy“ (ABC, 8 Staffeln, Seit: 2009), komponiert von Gabriel Mann

    Warum es so cool ist: Weil’s einfach gute Laune macht. Bei meiner Intro-Auswahl hier fällt mir grade wieder auf, dass ich gerne abgründige, eher düstere Serien schaue. Modern Family ist da die erfrischend-fröhliche Ausnahme. Das Intro ist kurz, knackig, geht voll auf die Zwölf und bereitet einen auf eine intelligente, schnelle und witzige Comedy vor. Man ist fast geneigt zu sagen, dass Intro und Serie echt „Pepp“ haben. Aber „Pepp“ sagt ja heute keiner mehr…

    11. Narcos

    Was genau? „Tuyo“ von Rodrigo Amarante (produziert von Pedro Bromfman), Titelsong von „Narcos“ (Netflix, 2 Staffeln, Start: 2015)

    Warum es so cool ist:  Der Bolero-Song an sich reißt erst mal keinen aus dem Sitz (zumindest wenn man kein Spanisch versteht). In Kombination mit den Originalfotos und -filmszenen, dazu schöne Frauen, Geld, Drogen, Mord und Totschlag, stimmt die Nummer aber wunderbar auf eine ebenso großartige und abgründige Serie ein. Die Serie Narcos ist keine leichte Kost. Das sagt schon ihr Intro, das einen hypnotisch umschlängelt und in den Drogensumpf zieht. Rodrigo Amarante hat übrigens mit dem Drummer von „The Strokes“ zusammen ne Band. Wisst ihr Bescheid.

    12. The Musketeers

    Was genau? “ Titelsong von „The Musketeers“ (BBC, 3 Staffeln, Start: 2014), komponiert von Murray Gold

    Warum es so cool ist: Was? Die drölfunddreißigste Umsetzung des Musketier-Stoffs? Braucht das wer? Echt jetzt? Nö. Braucht keiner. Die Serie macht aber trotzdem irgendwie Spaß, auch wenn sie bei weitem nicht die Klasse von GoT, House of Cards oder The Walking Dead hat. Aber zum Intro: Das haut einem direkt mal flott angeschlagene Gitarren und ne Geige oder zwei über den Schädel und geht steil nach vorne. Das ein oder andere „Hey!“ zwischendurch tut aber auch nicht weh. Das riecht nach Abenteuer und Wirtshausrauferei. Der Komponist ist ürbigens auch für die musikalische Untermalung der Neuauflage von „Doctor Who“ verantwortlich. Guter Mann also.

    13. Transparent

    Was genau? “ Titelsong von „Transparent“ (Amazon Studios, 3 Staffeln, Start: 2014), komponiert von Dustin O’Halloran

    Warum es so cool ist: Weil es keine Böller wirft, „hier bin ich!“ schreit oder sonst wie auf die Kacke haut. Das kleine, unaufdringliche Pianostück von O’Halloran, der übrigens in Berlin lebt und neben Filmmusik auch schon seine Kompositionen an Audi oder IKEA verhökert hat, plätscher unaufgeregt dahin und untermalt prima die Super 8-Familienfeier-Optik des Intros. Das Ganze steht dann natürlich im krassen Gegensatz zu den unruhigen Irrungen und Wirrungen im (Sexual-)Leben der Serienfamilie. Grandios.

    (Vorschaubild: © Netflix)

  • Kobe Bryant: Mamba out

    Ein 37-jähriger Multimillionär hört auf Basketball zu spielen – warum bewegt mich das?

    Heute Morgen bin ich aufgestanden und habe noch am Bett mein Smartphone angeschaltet. Ich wusste, dass Kobe Bryant grade die endgültig letzte Basketball-Partie seiner 20-jährigen Profikarriere beendet hatte. Hätte spox.com dieses Spiel übertragen, anstatt das letzte Saisonspiel der Golden State Warriors zu zeigen, die auf der Jagd nach dem historischen Rekord der Chicago Bulls von 1996 sind (72 Saisonsiege, nur 10 Niederlagen) – ich wäre Nachts um 4 aufgestanden, um Kobes letztes Spiel live zu schauen.

    By Keith Allison (Flickr: Kobe Bryant) [CC BY-SA 2.0], via Wikimedia Commons
    Stattdessen blicke ich vergleichsweise ausgeschlafen auf mein Handydisplay. Meine facebook-Timeline ist voller Kobe-Tributvideos. Ich nehme mir vor, sie später anzuschauen. Mit noch nicht ganz offenen Augen scrolle ich weiter. Mehr als rührselige Kobe-Abschiedsvideos, von denen es in der Saison schon genug gab, interessiert mich das Aktuelle, Sportliche. Haben „meine“ Lakers gewonnen und wie viele Punkte hat mein Basketballidol in seinem letzten NBA-Spiel gemacht? War es wohl ein würdiger Abschied, wie ich es ihm wünschen würde?

    60.

    Augenreiben.

    Da steht immer noch 60.

    60 Punkte.

    Völlig verrückt.

    Kobe Bryant hat heute Morgen die Utah Jazz mit 60 Punkten auseinandergenommen. Kobes Lakers haben das Spiel 101 zu 96 gewonnen. 60 der Lakers-Punkte kamen von Kobe.

    Sech-zig. Und ein Sieg, was bemerkenswert ist, denn die Lakers waren in diesem Jahr (und auch in den Jahren davor) grottenschlecht. Grade einmal 17 Siege bei 65 Niederlagen. Das schlechteste Team im Westen, das zweitschlechteste der aktuellen NBA-Saison.

    Den ganzen Tag lang habe ich mir jeden Videoschnipsel dieses 60-Punkte-Volksfests in Los Angeles angeschaut. Kobe kommt in der Arena an. Kobe beim Aufwärmen. Flea von den Red Hot Chili Peppers spielt vor dem Spiel die Nationalhymne auf dem Bass. Kobes letzte Einführung durch den Hallensprecher. Basketball-Legende Earvin „Magic“ Johnson, der vielleicht größte Laker aller Zeiten, hält eine Rede auf Bryant und nennt ihn den größten Laker aller Zeiten. Jay-Z, Kanye West, Snoop Dogg, Jack Nicholson, David Beckham flippen an der Seitenlinie aus (es war schon immer viel „Hollywood“ in Hollywood, aber bei Kobes letztem Spiel ist die Star-Dichte um einiges höher als gewöhnlich). Kobe dreht das Spiel, ganz so wie er es früher fast nach Belieben konnte und tütet 60 Punkte ein (sein Saisonschnitt liegt bei 17 Punkten). Kobe verabschiedet sich von den Fans. Kobe auf der Pressekonferenz. Kobe signiert die extra für sein letztes Heimspiel ins Parket der Halle eingelassenen Trikotnummern (die 8 und die 24). Kobe hier, Kobe da.

    Das hat in mir gegärt. Es hat mich berührt, diesen Held meiner Jugend in Rente gehen zu sehen. Bei manchen Szenen hatte ich – das gebe ich offen zu – wässrige Äuglein. Vorhin habe ich eine blaue Sonderedition des Lakers-Trikots aus dem Schrank gezogen. Ein Trikot, das ich seit bestimmt 10 Jahren nicht mehr angezogen hatte, habe ich nun übergestreift. Kobes alte Nummer 8 auf Rücken und Brust.

    Faszination Bryant

    Jetzt war ich bereit darüber zu reden. Ich machte den PC an und begann diesen Blogeintrag zu schreiben.

    Was macht Kobe Bryant für mich also zu einer Person, an deren Leben (beziehungsweise an deren Basketballspiel) ich Anteil nehme? Warum beschäftigt mich sein Rücktritt vom Profisport? Für die Erklärung muss ich etwas ausholen.

    Rückblende auf das Ende der 90er Jahre. Als ich anfange, mich wirklich für NBA-Basketball zu interessieren, ist Michael Jordan der unumstößliche Basketballgott und auf dem Höhepunkt seines Könnens. 1998 hat er das perfekte Karriereende, in dem er im letzten Spiel der Finalrunde gegen die Utah Jazz den letzten Schuss seiner Chicago Bulls nimmt, ihn zu Sieg und Meisterschaft versenkt und danach seine Basketballschuhe an den sprichwörtlichen Nagel hängt.

    Alle wollen so sein wie Mike. Eine ganze Profikarriere bei ein und demselben Team bleiben, mit ihm mehrere Meisterschaften holen und im perfekten Moment als Lichtgestalt in den Ruhestand gehen. Auch ein damals grade dem Teenageralter entsprungener Kobe Bryant will das für sich einmal. Damals, Ende der 90er, ist er nur 6 Jahre älter als ich, aber schon alt genug um mir ein cooles Vorbild einer aufstrebenden Basketballgeneration in der Zeitrechnung n. J., „nach Jordan“, zu werden.

    Kobe Bryant macht als „junger Wilder“ von sich reden, ich selbst beginne auch seinetwegen mit dem Basketballsport. Es ist die Zeit, in der die NBA-Spieler auf dem Spielfeld noch überlange Shorts im Stil des Gangsta Rap tragen.

    Coming of Age

    Kobe Bryant ist Teil meines Lebensgefühls, meiner Jugend. Er galt für mich irgendwie immer als der junge Rebell. Sein Älterwerden und eine nachrückende Generation von NBA-Spieler, die jetzt an seinem Thron sägt, wie er einst an Jordans Thron sägte, führt mir meine Vergänglichkeit, mein eigenes fortschreitendes Alter vor Augen. Vielleicht tat die Gewissheit, dass Kobes Karriere endlich ist und nun wirklich unwiederbringlich vorbei, deshalb so weh. Kobe Bryant ist für mich so etwas wie die Beatles für frühere Generationen: Man wurde mit den Idolen erwachsen und irgendwann sind sie nur noch eine schöne Erinnerung an die eigene Jugend.

    Kobe Bryant mochte ich auch deshalb, weil seine Karriere immer von Kritikerstimmen begleitet war. Kobe passt den Ball nicht. Kobe schießt zu viel. Kobe ist egoistisch. Ohne Shaquille O’Neal, mit dem er für ein paar Jahre ein tödliches Basketballduo gebildet hatte, kann er nicht gewinnen (konnte er doch). Nike hat aus der „Alle hassen Kobe“-Thematik grade einen netten Werbespot gemacht (s. links).

    Und ganz ehrlich: Kobe war auch ein besonderer Charakter. Von einer fast schon krankhaften Sucht nach Erfolg, Perfektion und Legitimation getrieben, war er sicher kein angenehmer Teamkamerad und angeblich sind einige Personal(fehl-)entscheidungen des Teams an seinem Ego zerschellt. Seinem Ego und seinem Kontrollzwang ist es auch zu verdanken, dass Kobe selbst seinen Spitznamen erfand, den jeder herausragende NBA-Spieler im Laufe seiner Karriere einmal verpasst bekommt: Black Mamba. Man kann Kobes Art sicher kritisieren oder arrogant finden. Aber eben dieser Wille, dieses Verbissensein, brachte ihm fünf Meisterschaften ein. Und das ist die Währung, die in der NBA zählt. Jordan hat sechs, Bryant fünf. Nicht schlecht.

    Das perfekt Ende

    Und dann war da ja noch das Karriereende, für das Kobes Vorbild 1998 die Blaupause gezeichnet hat. Letzten Schuss versenken, Meisterschaft einsacken, in den Sonnenuntergang reiten. Leider hatte Jordan dieses Bilderbuch-Karriereende mit dem Arsch wieder eingerissen, als er ein paar Jahre später, ungefähr in dem Alter, in dem Kobe jetzt grade von der Bühne abtritt, ein weiteres Comeback gab, um der neuen Spielergeneration noch mal zu zeigen, dass der alte Meister es noch drauf hat.

    Nun, Jordan hatte es noch drauf und spielte noch zwei absolut respektable Spielzeiten. Allerdings hatte er nun mit dem letzten Schuss um die Meisterschaft nichts mehr zu tun, denn die Washington Wizards, sein neues Team, schafften es nicht mal in die Playoffs. Stattdessen räumte Kobe Bryant, „das Monster, das er erschaffen hatte“, die Meisterschaft(en) ein. Jordan brach mit dem Comeback im falschen Trikot (eben für Washington und nicht für Chicago) nebenbei auch mit dem „ein Team für’s Leben“-Ideal.

    Welches Ende würde Kobes Karriere nun also nehmen? Mit der Meisterschaft hatten seine Lakers – wie schon erwähnt – in den letzten Jahren nichts mehr zu tun. Stattdessen kämpfte Kobe im Alter den beeindruckenden Kampf gegen seinen eigenen Körper. Drei Verletzungen, die für die meisten Sportler das Karriereende bedeutet hätten, brachten ihn nicht zum Rückzug. So einfach gibt ein Kobe Bryant nicht auf.

    Ein perfektes Ende mit Meisterfeier konnte es für Bryant also nicht geben. Und deshalb ist Kobes 60 Punkte-Gala im letzten Spiel für mich so phänomenal. Er hat den alten Kobe, dem alles – nur durch pure Willenskraft angefeuert – gelang, für einen Abend, im entscheidenden Moment wieder rausgeholt. Seine noch ziemlich jungen Töchter waren baff. Hatte Papa grade wirklich 60 Punkte gemacht? Jedenfalls hat Kobe diese Anekdote auf der Pressekonferenz nach dem Spiel zum Besten gegeben. Genauso wie seine Reaktion auf das ungläubige Staunen seiner Töchter. Sinngemäß war Kobes Antwort: „Ja, der Papa hat das früher öfters gemacht. Guckt mal bei youtube rein!“

    Kobe Bryant hatte also heute Morgen im Kleinen ein perfektes Karriereende. Nicht in der Maximalversion eines Jordans von 1998, sondern in der Version eines Menschen aus Fleisch und Blut. Eines Menschen, der einfach noch nicht zum alten Eisen gehören will, auch wenn der Körper schon längst nicht mehr mitmacht.

    Jetzt, da ich Kobes Karriereende schreiberisch verarbeitet habe und ein „Karriereende“ für diesen Text suche, fallen mir nur die Worte ein, mit denen Kobe selbst auf seinen Social Media-Kanälen seine Geschichten im Sinne eines „over and out“s zu beenden pflegt:

    Mamba out.

  • Neues Dr. Dre Album: Früher war alles besser

    Ich bin aufgeregt. Zum ersten Mal seit Jahren. Eigentlich gehöre ich ja eher zu den emotional kontrollierten Menschen. Das Urteil „gar nicht mal so schlecht“ zählt zu den höchsten Stufen der Euphorie, zu denen ich mich aufschwingen kann. Auf Konzerten ist ein leichtes Kopfnicken meinerseits das Äquivalent zu einem wilden Pogo-Moshpit. Aber jetzt bin ich ein wenig kribbelig. Und es liegt an einer CD. Der Postmann hat sie grade in den vierten Stock zu mir hochtragen wollen. Aber ich bin ihm entgegen gegangen und habe sie auf Höhe von Stockwerk Nummer zwei entgegengenommen, weil ich wusste, was er mir bringt: Die neue CD von Dr. Dre.

    Wer sich mit Hip Hop oder besser: Gangsta Rap nicht auskennt, wird schwerlich verstehen können, warum ich mich darüber freue, dass ein 50-jähriger Milliardär ein Album rausbringt. Wahrscheinlich kennen die meisten Dr. Dre heute nur noch deshalb, weil er seine schnieken Kopfhörer erst an uns und dann an Apple verkauft hat. Was versetzt mich also jetzt so in Verzückung?

    Das Grabtuch von Turin

    Ganz einfach: Alben von Dr. Dre sind so etwas wie das Grabtuch von Turin. Sie sehen nur ganz selten das Licht der Welt und werden dann von ihren Anhängern umso mehr angebetet. Seit über 30 Jahren ist Dr. Dre in der Welt des Raps eine Größe, ja sogar eine Legende. Und das obwohl er bis zu diesem Zeitpunkt nur lächerliche zwei Soloalben heraus gebracht hat. Aber gerade darin liegt die Magie: Seine zwei Platten waren perfekt und Ikonen ihrer Zeit. 1992 war es „The Chronic“. Im Jahr 1999 das Album „2001“. Zwischendurch hat Dr. Dre Rapper wie Snoop Dogg(y Dogg), Xzibit, Eminem, 50 Cent (jaja, pleite), The Game und zuletzt Kendrick Lamar groß gemacht.

    Es gibt sie wirklich: Dr. Dres neue CD!
    Es gibt sie wirklich: Dr. Dres neue CD!

    Meine persönliche Verbindung zu den beiden Meisterwerken Dres ist folgende: Meine erste Erinnerung an ein Musikvideo ist Snoop Doggy Doggs „Who Am I (What’s My Name)„. In dem Video verwandeln sich alle zu Kötern und wieder zurück. Fand ich damals mit knapp 10 Jahren total cool und den Song irgendwie auch. Zwar galt die erste große Musikleidenschaft meiner Jugend dem Britpop rund um Oasis, Ende der 90er packte mich dann aber der Rap-Boom und ich verschrieb mich musikalisch jahrelang dem amerikanischen Hip Hop und entdeckte auch dessen Vergangenheit und somit Dres „The Chronic“ von 1992, auf dem übrigens ein gewisser Snoop Doggy Dogg zum ersten Mal als Rapper zu hören war.

    Dr. Dre, Rap-Gott

    Als 1999 Dres Album „2001“ rauskam, war dies die Krönung des Genres. Ich erinnere mich, dass ich Anfang der 2000er in einem Basketballcamp auf Schloss Hagerhof war, dessen Highlight die Anwesenheit von Backboard-Zerschmetterer und NBA-Spieler Darwin Ham (damals Milwaukee Bucks) war. Die Hymne „Still D.R.E.“ rief morgens immer alle Camper zur Tagesbesprechung zusammen. Hip Hop, Basketball und Baggy Pants waren unter Rap-Gott Dr. Dre zur Jugendkultur verschmolzen.

    Doch zurück in die Gegenwart: Vor mir liegt „Compton. A Soundtrack by Dr. Dre“ und ich bin nervös. Nervös, weil Dr. Dre mich 16 Jahre hat warten lassen. Basketball gucke ich heute als gesitteter Dauerkartenbesitzer gemütlich im Bonner Telekom Dome. Die Basketball-Ikone meiner Jugend, Kobe Bryant, ist 37 und wird dieses Saison vielleicht zum letzten Mal die alten Knochen über das Parkett tragen und ich werde hoffen, dass sie ihn dabei nicht im Stich lassen. Im Stich lassen, wie meine eigenen Knie und Gelenke. Die machen Basketball nämlich auch nicht mehr so richtig mit wie früher. Und die Baggy Jeans von damals ist längst wieder zu normalen Jeans eingelaufen. Musikalisch bewege ich mich mittlerweile wieder näher am Indierock als in den Gefilden der Rapmusik. Nur noch meine Sammlung von Retro-Jordans im Flur erinnert an die glorreiche Zeit, in der Rap und Basketball mein Leben waren.

    Zweifel am Erlöser

    Jetzt überlege ich, ob mich das neue Album „Compton“ von Dr. Dre überhaupt noch erreichen kann. Oder ob es mich enttäuschen muss, weil mein Leben sich in den letzten 16 Jahren anders entwickelt hat als es mir „2001“ als Teenager vorschwebte. Aber was kann schon passieren? Bestenfalls bringt es die gute alte Zeit für ein paar Minuten zurück. Schlimmstenfalls enttäuscht es halt. Trotzdem denke ich: Es darf nicht enttäuschen! Dr. Dre hat nach „2001“ ein Album namens „Detox“ angekündigt und das Release-Date kontinuierlich nach hinten verschoben, bis wirklich schon kaum noch einer an ein Erscheinen der Scheibe geglaubt hat. Und plötzlich, wie aus heiterem Himmel, fühlt sich der alte Mann inspiriert, wirft „Detox“ weg und klebt ratz-fatz ein neues Album zusammen. Als wäre es wieder 1999. Die Inspiration hat Dre sich aus dem Film „Straight Outta Compton“ geholt, der seinen Werdegang als Rapper/Producer erzählt und grade in den Kinos angelaufen ist. Als wolle er sagen: „Schau her, Welt! Ich habe es immer gekonnt, hatte aber einfach keinen Bock!“

    Und ich sitze vor seiner neuen CD und grübel, ob es vielleicht besser gewesen wäre, wenn Dre weiterhin keinen Bock gehabt, „Detox“ ein Phantom geblieben wäre und wir uns alle einfach an diesem heimeligen Gefühl der Vergangenheitsverklärung wärmen würden, dass an die Erinnerungen von „The Chronic“ und „2001“ geknüpft ist. Als Michael Jordan 2001 zum zweiten Mal in die NBA zurück gekommen ist, war das zwar cool, aber er war einfach nicht mehr der Selbe….

    Vernichte oder erlöse mich, Dr. Dre!

    Aber nützt ja alles nix! Rein in den CD-Player und auf Play gedrückt. Allein die Tatsache, dass ich auf den Release gewartet, wirklich eine physische CD gekauft und das Ding nicht schon lange gestreamt habe, beweist doch, dass ich ein rückwärtsgewandter Dinosaurier bin. Vernichte oder erlöse mich, Dr. Dre!

    Das Intro dröhnt los und erinnert mich wohlig an die Intros von „The Chronic“ und „2001“. Der erste richtige Track „Talk About It“ pumpt und stampft über mein Trommelfell hinweg. Und es ist als wäre Dre nie weg gewesen. Als wäre es wieder „2001“. Ich habe fast ein wenig Pipi in den Augen. „Wie konnte ich nur zweifeln, Meister?“, stammele ich kleinlaut. Und so geht das weiter: Mittlerweile bin ich bei Track 6 von 16 angelangt und immer noch massieren Bässe fetter als alle „Deine Mutter-Witze“ zusammen meine Hirnhaut. Plötzlich passiert es: Der tote Eazy-E spuckt mir rotzfrech ins Ohr, dass mir ein Schauer den Rücken runter läuft.

    Track 8, Halbzeit. Jetzt steht Ice Cube im Studio und hat „Issues“. Ich glaub ihm das. Wütend klingt er. Wie früher. Track 10, Snoop Dogg ist dran und tut seine Pflicht. Vor meinem inneren Auge formen sich Menschen zu Kötern. Kurz vor Albumende lässt sich auch Eminem blicken und sticht Nadeln in mein Kleinhirn. Ach ja: Dr. Dre rappt zwischendrin natürlich auch immer wieder rum. Aber das ist ja fast nebensächlich.

    Wer kommt mit ins Kino, „Straight Outta Compton“ gucken?

  • Das Märchen von Tinderella: Vergeben auf Tinder. Ein Selbstversuch.*

    Mädchen aus einfachen Verhältnissen heiratet trotz aller Widerstände schmucken Prinzen. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute – bis dass der Tod sie scheidet.

    Für die meisten von uns sind solche Beziehungsmodelle Märchen. Die Realität meiner Mitmenschen um die 30 sieht völlig anders aus: Wenn’s normal läuft, stolpern wir von Date zu Date, küssen dabei viele glibbrige Frösche oder suchen für unser Minischühchen den passenden Käsefuß und erleben doch kein Happy End. Es sei denn, wir haben unseren Traumprinzen oder die Prinzessin schon gefunden und führen das, was scheinbar immer mehr aus der Mode kommt: Eine langjährige Beziehung.

    Mir geht es so: Bald seit 5 Jahren (in Worten fünf) in einer Beziehung, habe ich keine Ahnung mehr vom Singledasein. Für’s Dating-Karussell brauche ich keine Zehnerkarte mehr, muss mir keine Gedanken mehr darüber machen, wie ich dem anderen Geschlecht im Supermarkt begegne, kann mich vielleicht sogar ein kleines bisschen gehen lassen, weil ich ja weiß, dass mich jemand so lieb hat wie ich bin und verspüre nicht den Druck, irgendwo auf dieser Welt „diesen einen Menschen“ noch finden zu müssen.

    Trend zwecks mangelnder Bedürftigkeit verpennt

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    Szene einer 5 Jahre andauernden Beziehung (Serviervorschlag, © Tanja Wesel)

    Komfortable Situation. Meine Singlefreunde beneiden mich darum sicher hin und wieder. Ich wiederum habe sie um eine gewisser Erfahrung beneidet: Tinder. Denn immer, wenn mein Singleumfeld im Rudel zusammenkommt, wird über diese eine App gesprochen. Eigentlich wird natürlich über das Singledasein gesprochen, aber seit einiger Zeit scheint diese Daseinsform untrennbar mit dieser ominösen Dating-App verknüpft zu sein. Eigentlich ist diese App, die für meine Singlefreunde das wichtigste Gadget überhaupt zu sein scheint, für mich als „Beziehungstyp“ ja die überflüssigste App überhaupt. Eigentlich.

    Trotzdem ich bin ja sowas wie ein Netzbürger. Interessiere mich für Soziale Netzwerke, für Apps, für digitale Trends und als Journalist natürlich auch für alle Formen der Kommunikation. Und als mein Bruder wieder Single wurde und auch anfing über dieses Tinder zu sprechen, wollte ich’s endlich auch wissen.

    Tinder – Wie geht das überhaupt?

    Vielleicht muss man Tinder aber zuerst noch grob erklären. Vielleicht gibt es ja Menschen in Beziehungen, für die Tinder auch der eigentlich überflüssigste Service der Welt ist. Oder vielleicht liest meine Mutter das hier und fragt sich jetzt, was ihre Söhne da auf den Smartphones haben. Also: Tinder ist laut Eigenwerbung im Google Play Store

    „Ein neues Konzept, Leute in deiner Umgebung kennen zu lernen.“

    Unter der Hand gilt es bestenfalls als Dating-Service, schlimmstenfalls als Bumms-Börse. Eins ist es aber sicher: Oberflächlich und gleichzeitig unglaublich praktisch, weil effizient.

    Wer sich die App auf’s Smartphone lädt (am einfachsten bzw. schnellsten geht das, wenn man schon einen Facebook-Account hat – ohne geht aber auch) kann ein Bild und ein Kurzprofil von sich einstellen, seine Suchpräferenzen eingeben (= lieber Männlein oder Weiblein anzeigen lassen, Altersspanne von-bis und Suchumkreis in Kilometern festlegen) und los geht’s. Über GPS-Ortung (muss immer angeschaltet sein, um den Dienst nutzen zu können), werden einem Profile von Menschen angezeigt, die den Suchkriterien entsprechen und sich in der Nähe aufhalten. Ein Wisch übers Profil nach links heißt „kein Interesse“, ein Wisch nach rechts bedeutet will-ich-kennen-lernen. Miteinander chatten können zwei Menschen mit deckungsgleichen Suchkriterien erst, wenn sie sich beide mögen, also nach rechts gewischt haben. Das verhindert, dass man von Leuten angelabert wird, an denen man selber kein Interesse hat. Eigentlich ein echter Dating-Fortschritt!

    Tinder
    Leute? Ich mag Leute!

    Nun steht bei Tinder wie gesagt nirgendwo offiziell, dass es sich bei der App um ein Dating-Netzwerk handelt. „Leute in der Umgebung kennenlernen“ – dieses harmlose Versprechen habe ich als „Vergebener“ nun also zum Anlass genommen, einen fremden und für mich eigentlich unnötigen Webservice zu erkunden. Sobald die App installiert war, konnte es auch schon los gehen. Da ich mich über mein Facebook-Konto angemeldet hatte, war das Profil auch in Nullkommanix startklar. Also fing ich an, in bester hot-or-not-Manier „Menschen in meiner Umgebung“ zu bewerten. Wer mir äußerlich gefiel und/oder einen irgendwie netten oder interessanten Profiltext hatte bekam mein Wohlwollen. Der Rest wurde aussortiert. Und prompt schrieben mich auch schon die ersten „Menschen aus meiner Umgebung“ an. Das geht ja einfach.

    Gar nicht mal so unschuldig

    Interessanter Weise waren die natürlich alle weiblich und zwischen 20 und 40 Jahren alt – weil die App dies als Grundeinstellung für mich annahm. Mein naiver Versuch, die App als Leute-Kennenlerndienst und nicht als Dating-Service/Bumms-Börse anzusehen, erlitt Schiffbruch. Das musste ich erkennen, als die Mädels mich anschrieben und auf eine andere Art kennenlernen wollten. Ich hielt es nun für besser, sie über mein Experiment aufzuklären, worauf sie ihr Interesse an mir blitzartig verloren. Bis dahin hatte ich immerhin meinen oberflächlichen Wert auf dem Transfermarkt noch austesten können – das schreib ich mir mal auf die Haben-Seite. Als mich dann aber noch eine Single-Freundin offenbar überrascht bei Facebook anchattete und mich fragte, warum ich denn bei Tinder sei (sie hatte mich da gesehen und weiß, dass ich einer Beziehung bin), wusste ich sicher: 1. Tinder ist keine unschuldige App zum Leute kennenlernen, 2. besagte Single-Freundin versucht ihren Single-Zustand via Tinder zu überwinden.

    Ich änderte also meine Strategie, schrieb folgendes in mein Kurzprofil:

    Das ist also dieses Tinder da. Vergeben und hier aus rein humanitärem Interesse.

    Das Interesse der Damenwelt an mir sank daraufhin rapider als das Niveau im RTL-Dschungel. Auf einen Versuch, neue männliche Kumpels per Tinder kennen zu lernen, habe ich nach dieser Schlappe dann generös verzichtet.

     

    *Über diesen Selbstversuch wurde meine Freundin rechtzeitig informiert. Weder Tiere, noch Gefühle kamen dabei zu Schaden. Paartherapeuten oder Scheidungsanwälte wurden nicht behelligt.

  • Erster Weltkrieg: Opas Krieg

    Wir schreiben das Jahr 2014. Europa versinkt in einem Erinnerungstaumel. Überall Ausstellungen, Sonderveröffentlichungen, Zeitungsartikel zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren. Der „Großen Krieg“, wie ihn die Briten nennen, stand in der deutschen Erinnerungskultur bisher klar im Schatten des nationalen Traumas mit Namen Zweiter Weltkrieg.

    Jetzt, für ein Menschenleben unendlich lange erscheinende 100 Jahre danach, zum „Jubiläum“, findet dieser Erste Weltkrieg also unsere Beachtung. Allerdings gibt es ein Problem: Die Lebenswelt der Menschen vor 100 Jahren ist uns fremd geworden. Und somit auch die „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ (George F. Kennan). Der Zweite Weltkrieg scheint uns dagegen lebendig: An Hollywoodfilmen oder Fernsehdokumentationen zum Thema herrscht kein Mangel, ebenso wenig an Zeitzeugen. Auch wenn es weniger werden. Mit dem Ersten Weltkrieg sieht es da etwas anders aus. Anders als bei Weltkrieg Zwei fragen wir uns: Wie war das noch mal?

    Hilfreich: Spätgebärende Vorfahren

    Franz Mack, Erster Weltkrieg
    Opa Franz, vermutlich als junger Rekrut vor seinem ersten Einsatz.

    Doch ich habe „Glück“: Meine Eltern (Jahrgang 1948) waren relativ alt als sie mich (Jahrgang 1984) in die Welt setzten. Mein Opa väterlicherseits wiederum war noch älter, als er – lang davor – meinen Vater in ebendiese Welt setzte.

    Das bedeutet: Mein Opa, Franz Mack, war dabei. Dabei im Schützengrabenkrieg des Ersten Weltkriegs an der Westfront. Mittendrin in der Scheiße, im Blut und den Gedärmen, dem Giftgas und den Schreien der Sterbenden, im Maschinengewehrhagel und im Artilleriedonner des Ersten Weltkrieges. Erzählt hat er davon vermutlich nie, wie es für die Kriegsgenerationen aus beiden Weltkriegen üblich war. Jedenfalls weiß ich darüber nichts.

    Geboren 1894 in Nürnberg, 90 Jahre vor meiner eigenen Geburt, war Opa Franz ein junger Mann von 20 Jahren, als er in den Krieg ging. Gestorben ist er 1981, drei Jahre vor meiner Geburt. Opa Franz kenne ich also nur aus Erzählungen und von alten Fotos. Und von Feldpostkarten. Feldpostkarten, die er zwischen 1915 und 1917 aus Frankreich nach Hause geschickt hat.

    Erster Weltkrieg, 90 Jahre danach oder: Tour de Franz

    Feldpostkarten aus dem Ersten Weltkrieg
    Eine Seite des (neuen) Albums mit Feldpostkarten von Opa Franz.

    Lesen konnte ich diese Karten aber nie. Denn sie sind in Sütterlin geschrieben, womit ich mich bis heute äußerst schwer tue. Fasziniert haben mich die alten Karten, die Oma in einem ebenso alten und seltsam angenehm-modrig riechenden Album gesammelt hatte, schon immer. Die Schwarz-Weiß-Fotografien zerstörter Ortschaften mit brennenden Kirchturmrspritzen, die inszenierte Schützengrabenromantik, die etwa eine Gruppe Soldaten bei der Morgentoilette zeigt, oder die bunt gemalten Propaganda-Witzchen, wo beispielsweise ein deutscher Pickelhauben-Soldat als Sinnbild für den Zweifrontenkrieg an zwei Tischen gleichzeitig Skat gegen andere Nationen spielt – und selbstverständlich gewinnt.

    Einen ersten, im Nachhinein betrachtet sehr gelungenen Versuch der Aufarbeitung von Opas Kriegsalbum, hat vor zehn Jahren mein Vater unternommen. Auch er brauchte wohl ein „rundes Jubiläum“ dafür und so machten meine Eltern, mein Bruder und ich uns 2004 auf nach Frankreich. An die Schauplätze der Feldpostkarten von Opa, zur „Tour de Franz“, wie es mein Vater nannte. Mein Vater war es auch, der die Reise anhand der Feldpost seines Vaters akribisch im stillen Kämmerlein ausgetüftelt hatte. Er hatte wohl auch angefangen, die ein oder andere Postkarte zu „übersetzen“. Allerdings ging es ihm wahrscheinlich eher um die Gefechts- und Aufenthaltsorte seines Vaters, als um die Schützengraben-Korrespondenz von Opa Franz an sich.

    Ich weiß noch, dass diese Reise damals schon Eindruck bei mir hinterlassen hatte: Ich war – wie Opa Franz 90 Jahre zuvor – 20 Jahre alt, als ich an den Schauplätzen der Vergangenheit stand. Als ich in Waldstücken und Äckern immer noch die Wirkung der Artillerie in Form von tiefen Kratern sehen konnte, obwohl die Kanonen seit 90 Jahren verstummt waren. Obwohl nach zwei Weltkriegen die Narben der Vergangenheit in der Eurozone längst verheilt schienen und aus „Erbfeinden“ friedliche Nachbarn geworden waren.

    Tour de Franz - Rückkehr an Schauplätze des Ersten Weltkrieges
    Mein Bruder, ich und unzählige „Heldengräber“ im Jahr 2004 irgendwo in Frankreich.

    2004, als 20-Jähriger, stand ich außerdem grade vor der Entscheidung Wehrdienst zu leisten oder zu verweigern. Kurz zuvor hatte ich erstmals Remarques „Im Westen nichts Neues“ gelesen. Man mag sich denken, wie meine Entscheidung in Bezug auf den Wehrdienst ausgefallen ist…

    Die Unendlichkeit der so genannten „Heldengräber“, die wir auf der „Tour de Franz“ ebenso besuchten wie Festungen und Museen, machten Eindruck auf mich. So weit das Auge reichte weiße Grabkreuze mit Namen gefallener Soldaten. Franzosen und Deutsche. Alle in dem Alter in dem ich damals war. Alle in dem Alter, in dem Opa vor jetzt genau 100 Jahren war, als er in den Krieg zog.

    Die vom Krieg unversehrte Familie Mack

    Weitere zehn Jahre, den Tod des eigenen Vaters und ein weiteres „Jubiläum“ hat es seit der „Tour de Franz“ für mich gebraucht, bis ich mich erneut für Opas Postkarten interessiert habe. Vor gut einem Jahr fielen sie mir noch einmal in die Hand und ich stellte fest: Anders als in vielen anderen deutschen Familien, kehrten die Söhne der Macks allesamt von der Front zurück.

    Für Opa Franz war der Krieg am 8. Mai 1917 vorbei, als er von einem oder mehreren Granatsplittern aus deutscher Artillerie in den Rücken getroffen wurde. Die nächsten 16 Monate musste er im Lazarett verbringen, wo er in zwei Operationen wieder zusammengeflickt werden musste. Dieser „Heimatschuss“, ironischer weise tatsächlich aus „heimischen“ Kanonen abgefeuert, brachte ihm zeitlebens eine Behinderung von 70 Prozent ein. Soweit ich weiß, muss einer der Granatsplitter seine Blase erwischt haben, weshalb er sein Leben lang Probleme beim „Wasser lassen“ hatte.

    Alois Mack - Soldat im Ersten Welkrieg
    Einer der Brüder: Alois Mack, ebenfalls im Krieg.

    Opas Feldpost brachte aber auch Erkenntnisse über die Familienstruktur der Macks. Anders als bei meinen Verwandten mütterlicherseits, die einen sehr engen Kontakt untereinander pflegen, kann ich die verworrenen Wurzeln des Mackschen Familienstammbaums bislang noch nicht so recht entwirren.

    Fest steht: Opa hatte zwei Brüder und weitere Verwandte, die ebenfalls im Krieg waren und nach dessen Ende allesamt heil von der Front zurück in ihre Heimat kehrten. Mit all diesen Verwandten, Eltern, Brüdern, Schwestern, Cousinen und auch Kameraden hat Opa Franz über die Kriegsjahre eine rege Postkarten-Korrespondenz unterhalten.

    Familienkorrespondenz

    Die erste aus dem Album erhaltene Postkarte aus Opas Album stammt von seiner Cousine Grete Eyrich. Sie schrieb ihm am 19. Oktober 1914 folgende Zeilen ins Rekrutendepot II in Fürth, wo Opa Franz im „Ersatzbatallion des 21. Infanterie-Regiments für seinen Fronteinsatz vorbereitet wurde:

    Lieber Franz!

    Besten Dank für Deine Karte. Habe mich sehr gefreut. Das Gedicht ist sehr nett. Sei so gut und lasse Dich bald in Uniform bewundern. Alois (Anmerkung: Einer von Franz Brüdern und vermutlich zu diesem Zeitpunkt ebenfalls eingezogen, CM) hat sich noch nicht blicken lassen. Hoffentlich schreibt er dafür einmal vom Felde. Mein Bräutigam ist am Samstag ausgerückt. Die letzte Nachricht habe ich von Düsseldorf, ich weiß nicht, kommt er nach Osten oder Westen.

    Viele Grüße von meinen Eltern und mir.

    Deine Kusine Gretchen. Auf Wiedersehen!

    Postkarte an Franz Mack - Bevor er an die Front kam
    Mit wehenden Fahnen: Die erste erhaltene Postkarte von Cousine Grete an den Rekruten Franz Mack.

    Aus dieser Karte spricht die Sicht der Heimat, die im Krieg noch lange etwas heroisches gesehen hat. Wie ich annehme ist aber auch mein Opa – wie zu Kriegsbeginn üblich – mit Vorfreude und mit idealisierten Vorstellungen in die Schlacht gezogen. Liest man seine späteren Karten von der Front, so scheint diese Anfangseuphorie im Schützengrabenkrieg schnell verflogen zu sein, auch oder grade weil er gegen Ende seiner Soldatenzeit immer wortkarger wird.

    Opa twittert aus dem Schützengraben

    Als ich Opas Album und mit ihm die Karten erstmals seit der „Tour de Franz“ wieder vor mir hatte, kam mir eine Idee: Inspiriert vom Social Media-Geschichtsprojekt 3nov38, Heute vor 75 Jahren habe ich beschlossen, Opa von der Front  twittern zu lassen: Ab Februar 2015 wird Opa Franz wieder auferstehen und seine Feldpost noch einmal „tagesaktuell von vor 100 Jahren“ veröffentlichen. Und zwar für alle sichtbar im Internet.

    Konkret heißt das: Ich werde über den bereits eingerichteten twitter-Account OpasKrieg die Feldpost von Franz Mack, aber auch die Postkarten an ihn und einige seiner Verwandten posten. Zusätzlich wird es weitere Informationen auf der eigens dafür eingerichteten Website www.opaskrieg.de geben. Auf beiden Seiten ist zum Zeitpunkt dieses Blogeintrags noch nicht besonders viel passiert – spätestens zum Jahreswechsel geht es dann aber los. Denn die erste Karte aus Etain, Lothringen wird Opa Franz Eltern, Karl und Margarethe Mack, am 03. Februar 1915 erreichen.

    Familienforschung

    Bisher habe ich selber noch nicht alle Karten studiert und das umfassende Aktenmaterial, das meine Oma aus Opa Franz Leben aufbewahrt hat, bei weitem noch nicht durchforstet. Ein Gesamtbild über Opas Kriegskorrespondenz, über die innerfamiliären Beziehungen und über die uns heute so fremde Lebenswelt des Deutschen Kaiserreiches konnte ich mir also noch nicht erschließen. Eine erste Durchsicht einiger dieser Karten verspricht aber spannendes historisches Material und gegensätzliche Blickwinkel auf den Krieg von der in der sicheren Heimat verbliebenen Familie Mack und dem Frontkämpfer Franz Mack auf der anderen Seite.

    Bahnbrechende Erkenntnisse für die Geschichtsschreibung des Ersten Weltkrieges sind nicht zu erwarten. Aber grade die Art und Weise wie Opa und die Familie in ihrem Alltag mit der Urgewalt des Krieges umzugehen versuchen, dürfte mehr als spannend werden.

    Frankreich: brennende Kirche im Ersten Welkrieg und Kirche heute
    Damals und „heute“: Erste Entdeckungstour zu den Kriegsschauplätzen von Opa Franz (2004).

    Besonderer Dank gebührt an dieser Stelle vorab als erstes meiner Oma Käthe Mack, die die Feldpost und weitere Dokumente meines Opas Franz stets liebevoll aufgehoben und bewahrt hat. Ebenso dankbar bin ich meinem Vater, der mit uns als Familie 2004 die erste Entdeckungstour an den Originalschauplätzen der verlorenen Jugend meines Opas in Frankreich gemacht hat. Ebenso großer Dank gebührt meiner Mutter, die die Feldpost ihres Schwiegervaters vorab in emsiger Kleinarbeit geordnet und zusammengetragen hat. Und zuletzt möchte ich mich herzlich bei meiner Oma Anneliese bedanken, die trotz ihrer fast 90-jährigen Augen einen tollen und unschätzbar wertvollen Job bei der „Übersetzung“ der Postkarten aus dem Sütterlin geleistet und dabei die 100 Jahre alten, teils verwaschenen und undeutlich gekrakelten Postkarten hinter einer Lupe verschanzt lesbar gemacht hat.

    Die Früchte all dieser Arbeit will ich nun im Blog opaskrieg.de und bei twitter ernten und neu arrangieren. Ich tue dies als persönliche Aufarbeitung der Familiengeschichte. Ich tue dies aber auch, um die Lebenswelt des Zeitalters des Ersten Weltkrieges auch für meine Generation wieder zu öffnen. Um dem Schießen und Sterben vor unendlich lang erscheinenden 100 Jahren wieder ein Gesicht zu geben.

    Ich habe zwar durch spätgebärende Vorfahren einen besonderen, persönlicheren Zugang zum Ersten Weltkrieg – aber es könnte auch euer Opa sein, der da an der Somme im Dreck lag und sich bei seinem sinnlos erscheinenden Kampf um ein paar hundert Meter granatenzerfurchter, stacheldrahtverhangener Mondlandschaft im Takt des Maschinengewehrfeuers über ein Stück Leberwurst aus der Heimat gefreut hat.

  • DSLR-Videos: Hollywood für alle

    Alter, was ist das denn für ein Riesending? Darf ich da mal ein Foto von machen? Ein Kumpel von mir findet das sicher auch interessant!

    Diese wohlwollenden Worte über mein bestes Stück habe ich neulich auf einer Abendveranstaltung zu hören bekommen. Ich war geschmeichelt und weil ich aus dem Gesicht des Mannes ehrlich anerkennende Begeisterung herauslesen konnte, ließ ich ihn machen. Er knipste drei Handyfotos von meinem Kameraaufbau und konnte es immer noch nicht fassen, was ich da grade alles an meine digitale Spiegelreflexkamera gebastelt und auf meine Schulter gehievt hatte.

    Auch wenn solch direkten Reaktionen bei Drehs eher selten sind, ernte ich doch immer wieder erstaunte Blicke, wenn ich meine DSLR zur Videokamera mache und los filme. Und das, obwohl filmen mit einer DSLR schon lange keine neumodische Verrücktheit mehr ist. Nachdem Independent-Filmer und Hobby-Videographen die Vorteile der DSLR schon etwas länger entdeckt haben, sieht man Spiegelreflexkameras mit entsprechendem Zubehör mittlerweile auch immer häufiger in den Händen von professionellen Kameraleuten und Fernsehteams.

    Und doch hat sich scheinbar noch nicht jeder mit der Idee anfreunden können, dass eine Fotokamera auch filmen kann. Diesem erstaunten Unglauben will ich folgenden Blogartikel entgegen halten, in dem ich meine Erfahrungen mit der DSLR-Filmerei festhalte.

    Hollywood-Looks für kleines Geld

    Seit etwa einem Jahr filme ich nun völlig autodidaktisch mit einer Spiegelrefelx. In der Zeit habe ich nicht nur einiges dazugelernt, sondern mir mein Hobby auch einiges kosten lassen, in dem ich kräftig in einige Zubehörteile für meine Kamera investiert habe.

    Bevor ich aber aus meiner Erfahrung aufschreibe, was man alles für einen potentiell guten DSLR-Film braucht, will ich noch kurz festhalten, was die DSLR-Filmerei in meinen Augen (und mittlerweile auch in denen des „etablierten Fernsehens“) so interessant macht:

    DSLR Rig
    Etwas übertrieben vielleicht, aber möglich: Meine DSLR mit sämtlichem Schnickschnack. (©Beatrice Treydel)

    Mit einer Spiegelreflex lassen sich Filme in HD aufzeichnen und Schärfentiefe-Effekte erzielen, die wir sonst nur aus dem Kino kennen. Dadurch lassen sich Objekte oder Personen besonders gut freistellen. Mit Camcordern geht das in der Regel nicht so gut. So einfach ist das.

    Außerdem kosten Spiegelreflexkameras oft nur einen Bruchteil dessen, was man für eine reine Filmkamera guter Qualität hinblättern müsste. Und ein weiterer Vorteil: Die Objektiv-Vielfalt der DSLR lässt sich natürlich auch für’s Filmen nutzen. Und: So eine DSLR ist erst einmal kompakter als eine komplette Schulterkamera.

    Das alles sind gute Gründe für’s Filmen mit einer DSLR. Aber wie das oft so ist: Was zuerst verblüffend naheliegend klingt, hat oft einen kleinen Haken.

    Der Haken: Die DSLR-Hersteller

    Warum filmen also nicht alle mit einer günstigeren DSLR, wenn sie doch für ein so schmales Budget so viel Hollywood bietet? Die Antwort ist einfach: Weil die Kamerahersteller da nicht mitspielen. Überlegt mal: Wer würde noch teure Camcorder kaufen, wenn die günstigeren Fotokameras das gleiche können? Genau.

    Fakt ist: Die Bildwirkung einer DSLR ist von Werk aus oft schon grandios (natürlich kommt es auch auf das benutzte Objektiv an), den Ton kannste in der Regel aber in die Tonne kloppen.

    Guter Ton ist teuer

    Und damit kommen wir schon zum ersten „ABER“, wenn wir über die Vorzüge einer DSLR sprechen. Denn Ton ist sicher der größte Knackpunkt von digitalen Spiegelreflexkameras. Die eingebauten Mikrofone und Preamps in den Kameras sind eher auf Spielzeug- als auf Profiniveau. Anders als das DSLR-eigene Problem, dass man auf Grund des Fat32-Formats der Speicherkarte nicht mehr als 4 Gigabyte und somit nur eine begrenzte Zeit aufzeichnen kann, lässt sich das Audioproblem effektiv lösen. Wer also mehr als lustige Clips mit Musikuntermalung ins Netz stellen und stattdessen anspruchsvolle Produktionen mit Interviewpartnern oder Schauspielern umsetzen will, der braucht Zubehör.

    Entweder man greift zu speziellen externen Video-Richtmikrofonen für den Blitzschuh, wie sie beispielsweise von Rode hergestellt werden. Oder man besorgt sich gleich einen externen Vorverstärker zum unter-die-Kamera-schnallen. Entscheidet man sich hierfür, benötigt man natürlich noch zusätzliche Mikrofone. Die Lösung mit dem externen Vorverstärker/Mixer hat den Vorteil, dass man flexibel verschiedene Mikrofone für verschiedene Anwendungen einsetzen kann (Kabel- oder Funkstrecke, Ansteckmikrofone, Richt- oder Reportagemikrofone etc), weshalb auch ich mich hierfür entscheiden habe.

    Tascam DR-60D
    Ich habe mich in Sachen Sound für einen Recorder von Tascam und diverse Mikros entschieden.

    Ich persönlich nutze den Vorverstärker/Mixer DR-60D von Tascam, von dem es mittlerweile auch schon diverse Weiterentwicklungen gibt. Vergleichbare Preamps gibt es zum Beispiel von den Firmen juicedLink, beachtek oder Azden.

    Interessant besonders (aber nicht nur) für das Managen eines Audiosignales ist außerdem die alternative Firmware Magic Lantern, die mittlerweile auf vielen DSLRs von Canon funktioniert und weitere Funktionen und Einstellungsmöglichkeiten bietet, die der Hersteller mit seiner offiziellen Firmware nicht berücksichtigt. Genannt seien hier zum Beispiel die Anzeige des Audiopegels im Display aber auch praktische Helferlein wie das Fokus-Peaking, das ein wirklich praktisches Helferlein ist, weil man als DSLR-Filmer die Schärfe nun mal manuell ziehen muss.

    Wer sich Magic Lantern auf seine Kamera holt, sollte aber auch wissen, dass es sich um einen Firmware-Hack handelt und man so die sicheren Garantie-Pfade der Originalfirmware verlässt. Probleme hat mir dieser Hack in der Praxis allerdings noch nie gemacht.

    Zittriges Händchen

    Hat man die Tonprobleme in den Griff bekommen (und mit der entsprechenden Hardware ist mit der DSLR wirklich eine Tonqualität wie vom Profi-Filmset möglich), verfügt man eigentlich mit einer DSLR die perfekte Kamera. Eigentlich.

    Denn wie schon erwähnt: Einen Autofokus bieten DSLRS beim filmen nicht. Man muss also – anders als bei Camcordern oder Smartphones – die Schärfe beim filmen selber „ziehen“. Aus der Hand geschossen und fokussiert, verwackeln die Aufnahmen besonders bei fehlender Übung deshalb sehr schnell. Erschwerend hinzu kommt, dass DSLRs nicht bildstabilisiert sind.

    Wir brauchen also für bestimmte Shots mindestens ein Stativ, egal ob Dreibein oder Einbein. Für den Anfang kommt man da mit einfachen Fotostativen hin, natürlich gib es auch spezielle Videostative mit Videoköpfen für besonders weiche Schwenks. Je nach Lust und Laune kann man natürlich auch noch in diverse Steadicam-Systeme investieren – und spätestens da geht es ins Geld.

    Nicht billig aber eine ordentliche Alternative sind einfache Schwebestaive ohne Weste. Allerdings erfordern sie ungeheuer viel Übung beim ausbalancieren und lassen sich nicht mit unendlich viel Gewicht/Kamerazubehör belasten. Leichter in der Handhabung, aber nicht unbedingt billiger sind Camera Rigs, die die Kamera auf die Schulter bringen und so freie Schwenks, hohe Kameramobilität und einen guten Schutz vorm Verwackeln bieten.

    Ich persönlich benutze ein sehr hochwertiges und nicht grade günstiges Rig von Zacuto – günstige Alternativen gibt es aber beispielsweise auch von Walimex, Kamerar und vielen anderen Herstellern. Einfach mal auf amazon umschauen für einen ersten Einblick. Generell gilt: Verwacklungsfrei ist nur die schwer zu handhabende Steadicam, das Rig kann aber eine gute Alternative sein.

    Slider/Videoschienen oder Kamerawagen, auf denen man ruckelfreie Kamerafahrten machen kann, in dem man die DSLR wie eine Spielzeugeisenbahn über eine Schiene zieht, sind eine weitere Möglichkeit, das zittrige Händchen zu vermeiden und einen echt coolen Bildeffekt zu erzielen. Kostet natürlich auch wieder einiges extra…

    Licht

    Tageslicht ist nicht nur der Freund des Fotografen, sonder auch der des DSLR-Filmers. Wo kein Tageslicht ist oder sich kein Tageslichteinfall herstellen lässt (Rollos hoch etc.), muss eine künstliche Lichtquelle her. Ich muss gestehen: Das Thema Kunstlicht habe ich lange umgangen. Bisher habe ich meist draußen bei Tageslicht gefilmt oder in halbwegs gut beleuchteten Räumen. Bei Abendveranstaltungen mit gedämpfter Beleuchtung (Hochzeiten oder ähnliches) kommt man dann aber schnell an Grenzen und muss die ISO-Zahl brutal hochjagen, was auf die Bildqualität drückt.

    Lösen kann man das natürlich, in dem man Scheinwerfer und Softboxen benutzt, wie man sie vom Fotografen kennt. Weil DSLR-Videographen aber meist Ein-Mann-Unternehmen sind und nicht erst noch stundenlang on location Lichtsettings aufbauen können, gibt’s LED-Videoleuchten. Für die günstigsten muss man bei amazon nicht mal viel Geld ausgeben (ab rund 30 Euro). Allerdings ist es sinnvoll, sich beim Kauf gleich für eine Leuchte zu entscheiden, bei der man Lichtintensität und am besten auch gleich die Farbtemperatur einstellen kann.

    Polaroid
    Komm ins Licht! Meine LED-Videoleuchte von Polaroid.

    Ich persönlich habe mal als Erstkauf zu einer Leuchte von Polaroid für ca. 100 Euro gegriffen. Das gute an den Videoleuchten ist: Man kann sie auf ein Stativ stellen oder auf den Blitzschuh der Kamera stecken. Natürlich gibt es unzählige Alternativen von z.B. Metz, Walimex oder Manfrotto. Auch hier gilt: Die Preisskala ist nach oben offen.

    Zubehör: Sucher, Follow Focus und mehr

    Ein weiteres Problem beim filmen mit der DSLR: Man filmt über das relativ kleine Display der Kamera. Je nachdem wie die Sonne am Himmel steht, ist es dann schwer Feinheiten wie den Fokus richtig zu justieren. Die Lösung hier sind spezielle Sucherlupen oder externe, größere Monitore oder gar eine Kombination aus beidem, wie Zacuto es für stolze Preise anbietet.

    Ich persönlich habe mich in Kombination mit einem Shoulder Rig für eine Display-Lupe entschieden und komme damit recht gut klar. Wie bei allen Kategorien gilt auch hier: Gute Systeme kosten richtig gutes Geld.

    Ein weiterer Helfer, den man oft in Kombination mit DSLRs sieht, ist der so genannte Follow Focus: Ein Drehrad mit dem man die Schärfe verwacklungsfrei und gleichmäßig ziehen kann. Ich persönlich komme bisher ohne klar, was auch an der Bauart meines Rigs liegt. Über kurz oder lang werde ich mir aber wohl mal ein solches System anschaffen, weil hiermit einfach weichere Schärfefahrten und eine Markierung von Schärfepunkten, zwischen denen man dann schnell hin- und herspringen kann, möglich ist.

    Natürlich spielt die Postproduktion auch eine gewichtige Rolle beim Dreh eines DSLR-Films. Dieses Kapitel jetzt aber auch noch aufzumachen, würde den Rahmen dieses Artikels völlig sprengen. Nur so viel: Ich schneide bislang noch mit einer relativ simplen Software aus dem Hobbyanwenderbereich, nämlich mit Adobe Premiere Elements. Den Ton bearbeite ich als Radioprofi etwas routinierter und höherwertiger in Adobe Audition. Über kurz oder lang werde ich aber sicher auf Premiere Pro und After Effects für den Bildschnitt umsteigen. Alles nur eine Frage des Budgets… 😉

    Die Moral von der Geschicht‘: Billig ist das trotzdem nicht

    Zusammengefasst: Filmen mit einer DSLR ist toll, weil man schnell den Kino-Look hinbekommt. Filmen mit einer DSLR ist vergleichsweise günstig, wenn man die Anschaffungskosten mit denen einer Profikamera aus dem Fernseh-/Filmbereich vergleich. DSLRs sind aber wegen fehlender Bildstabilisierung und manuellem Fokus schwerer zu handhaben als ein Camcorder. Für das Zubehör kann man schnell ein Vielfaches des eigentlichen Kamerawertes ausgeben und muss dies auch tun, wenn man auf allen Ebenen professionelle Ergebnisse erzielen will.

    Trotzdem können ambitionierte Videoleihen (wie ich) relativ schnell sehr profesionnelle Ergebnisse erzielen. Als DSLR-Videograph ist man Kameramann, Kamera-Assistent, Licht- und Tonmann und Regisseur in Personalunion. Natürlich wird man als Einzelperson schwer die gleiche hohe Qualität abliefern können, die eine gut eingespielte Filmcrew aus Einzelspezialisten bringt. Trotzdem kann man dem „Idealergebnis“ als DSLR-Filmer schon sehr nahe kommen. Jetzt wo professionell wirkendes Bewegtbild in den Sozialen Netzwerken immer wichtiger wird, finden Videographen spannende Aufgaben.

    Es lohnt sich also, sich näher mit der DSLR-Filmerei zu befassen.

  • Endlich allein

    Ich hab da so ’nen Film gesehen. Drei Tage lang. Einen Film, den es noch gar nicht gibt. Einen Film, der nur ca. 15 Minuten lang und wahrscheinlich nie im Fernsehen zu sehen ist. Wie ich dazu gekommen bin, erstaunt mich selbst immer noch ein bisschen.

    Rückblende: Wer sich schon mal auf dieser meiner Seite rumgetrieben hat, der weiß, dass ich da an „so ’nem Projekt“ beteiligt bin. Gesichter Bonns heißt es, ist eine fotografische Idee und Herzensangelegenheit meiner Freundin Bea und macht uns ’ne Menge Spaß. Viel mehr dazu ist an dieser Stelle auch unwichtig. Außer vielleicht dass der Fernseh- und Theaterschauspieler Hanno Friedrich auch Teil des Projektes ist, denn: Er wohnt in Bonn(-Beuel).

    Beim Fotoshoot für das Projekt lernten Bea und ich ihn als netten, bodenständigen und netzwerkfreudigen Menschen kennen, der uns wenig später auch noch den Gefallen tun sollte, eine Bühnenmoderation für Gesichter Bonns im Bonner Haus der Springmaus zu übernehmen.

    Und weil Hanno nicht nur ein netter Kerl, sondern auch ein Macher ist, hat er etwa zu diesem Zeitpunkt angefangen, ein Kurzfilmprojekt zu crowdfunden, oder besser: von der crowd funden zu lassen (KOMMA erfolgreich).

    Bea und ich dachten sofort: Tolle Sache, unterstützen wir! Also wurden wir erst „Filmproduzenten“/“Teilhaber“, in dem wir spendeten und rührten dazu noch im digitalen Freundeskreis kräftig die Werbetrommel für Hannos Filmidee.

    Als dann auch noch ein „Set-Runner“ für den Dreh gesucht wurde, wusste ich zwar nicht, was das überhaupt ist. Weil ich aber irgendwie helfen wollte und außerdem als Videographie-Autodidakt die Chance erkannte, mal bei einer professionellen Filmproduktion dabei sein zu können, schrie ich „Hier!“. Ende Rückblende.

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    Setfoto, Endlich allein – aber wer ist dieser Unbekannte?

    Um mal wieder auf den Film zurückzukommen, der zwar jetzt abgedreht, aber noch lang nicht fertig ist: In ihm geht es um ein Paar, das gemeinsam in den Urlaub fliegen möchte. Sie (gespielt von Saralisa Volm), Karriereweibchen und toughe Businessfrau. Und Er (gespielt von Hanno Friedrich), Lebenskünstler und freiberuflicher sich-durchs-Leben-Wurschtler. Dazu noch der Bürokollege des Karriereweibchens (gespielt von Frank Streffing), der in ihrer Abwesenheit die Agenturgeschäfte weiter führen soll.

    Das Buch stammt von Hanno himself, Regisseur ist Martin Przyborowski.

    Ich will nicht zu viel verraten, aber: Es wird ein subtiler Kurz-Psychothriller mit Anleihen aus dem Horrorfilm und einer interessanten Auflösung bei gleichzeitig offenem, aber nicht grade glücklichem Ende.

    Für mich interessant war bei der ganzen Sache auch weniger das Drehbuch, der Cast oder das Genre des Films (auch wenn ich sicher bin, dass es ein guter Film werden wird!), sondern eher die Gelegenheit, mal bei einem „nicht-journalistischen“ Dreh im Weg stehen dabei sein zu können.

    Zwar hatte ich vor Drehbeginn mal gegoogelt was ein Set-Runner denn so ist, wusste also in etwa, was da so auf mich zukommen würde. Trotzdem war ich natürlich aufgeregt, als es am Sonntag losging. So viele Leute, die ich nicht kannte, auch wenn die Crew inklusive mir mit 13,5 Mitgliedern (Hannos 10-jähriger Sohn durfte die Klappe halten schlagen) noch recht übersichtlich war. So viele Menschen aus der „Filmwelt“, von denen ich nicht wusste, wie sie sich mir gegenüber als Fremden in dieser Welt verhalten würden.

    Um es vorweg zu nehmen: Keiner hat sich mir gegenüber doof verhalten, aber natürlich ist man als Set-Runner eine Art Praktikant und somit Arsch vom Dienst.

    Meine Aufgaben konkret waren:

    • Schauspieler von A nach B fahren (Flughafen, Drehorte etc.)
    • Für Happa-Happa an den Drehorten sorgen (jetzt weiß ich als Nicht-Kaffetrinker auch, wie man mit einer French Press umgeht)
    • Happa-Happa kaufen bzw. beim Caterer abholen (auch von mir noch mal ein dickes Danke an’s Gesindehaus in Bonn-Poppelsdorf)
    • Als Licht-Double zur Verfügung sitzen, stehen, liegen
    • Für Ruhe an den Drehorten sorgen und Schaulustige beim Dreh in Schach halten
    • Kisten, Koffer, Kästen schleppen
    • Glasflächen putzen (kein Scheiß)
    • Aufräumen (ich hoffe, die Jungs und Mädels vom Top Magazin Bonn sind zufrieden mit meiner Wiederherstellung des Drehortes 😀
    • Ab und an mal ne Klappe schlagen
    • Und hauptsächlich: Einfach für alles zur Verfügung stehen

    Insgesamt bedeutet das: Viel warten und da sein. Nicht immer konnte ich mich in diesen drei Tagen nützlich machen, denn das Team war eingespielt und die Sets teilweise sehr eng, so dass ich auch wusste, wann ich mich zurück zu ziehen hatte. Trotzdem war ich natürlich immer da, wenn ich gebraucht wurde und mir auch für keinen Auftrag zu schade. Kurzum: Ich denke, ich habe den Job für einen Anfänger ganz gut gemacht.

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    Sieht nach Polizeiroboter bei der Sprengung eines Gepäckstücks aus – ist aber ne Kamera.

    Dadurch, dass ich während des Drehs meist auf stand-by war, hatte ich oft Gelegenheit mit der Crew zu schnacken. So lernte ich den Tonmann kennen, der bei Stromberg (TV und Film) auch als Nebendarsteller am Start war. Oder den Setfotografen, der extra aus Dortmund angerückt war und genau wie die anderen ohne Gage (was aber für alle vorher klar war) und nur für den „Ruhm“ arbeitete. Oder die Visagistin, die am letzten Drehtag mit ihrer deutschen Dogge „Pepper“ zum Set kam und in die ich mich unsterblich verliebt habe (in die Dogge meine ich jetzt).

    Dauerbeschäftigt waren Schauspieler, Regie, Kameraleute und vor allem die Beleuchter, die Lichtsituationen geschaffen haben, von denen ich als one-man-band Videograph nur feucht träumen kann. Irre, wie da alle Zahnräder des gesamten Teams ineinander gegriffen haben! Und irre, wie lang es beim Film dauert, bis gedreht werden kann und wenige Filmsekunden im Kasten sind (zur Erinnerung: 15 Minuten Kurzfilm, drei Drehtage).

    Für mich als „brotlosen Journalisten“ war es auch nett, mich mit andren Kreativen austauschen zu können, die ebenfalls als Freiberufler ein ähnliches Leben in Freiheit bei gleichzeitiger finanzieller Ungewissheit führen.

    Mein kleiner Ausflug in die Filmwelt war unterm Strich sehr spannend, mit sehr viel Warten und Zeiteinsatz verbunden, hat mir aber auch Kontakte in diverse Filmbereiche beschert – und man weiß ja nie, wofür’s mal gut ist 😉

  • Zeitmaschine

    Die Zeit wird kommen, in der mich mein eigener Nachwuchs fassungslos anstarren wird, nachdem ich ihm mitgeteilt habe, dass ich früher Musik auf CDs und Filme auf DVDs geschaut habe. Für noch irritiertere Blicke wird dann meine Aussage sorgen, nach der ich ganz früher sogar noch Musik auf Kassette abgespielt und aus dem UKW(!)-Radio aufgenommen habe und mich auch noch an eine Zeit erinnern kann, als Texte auf Schreibmaschine (ohne @-Zeichen!) geschrieben wurden und Telefone noch eine Wählscheibe hatten.

    Ich werde mir dann zwar steinalt vorkommen, aber das ist dann halt so. Vielleicht kommt mir die analoge Einöde dann in der Rückschau sogar wie das Paradies vor, wenn ich mit tränenverklärtem Blick an das rauschige Bild einer VHS-Kassette zurückdenke. Gegen technischen Fortschritt ist natürlich generell nichts einzuwenden, aber ich muss schon zugeben, dass Technologiestandards noch nie so kurzlebig waren wie heute.

    So wie meinen ungeborenen Kindern ging es mir neulich auch mal: Davon wie Papa beinahe den Deutschrock erfand habe ich an anderer Stelle zwar schon berichtet. Trotzdem muss ich hier zum allgemeinen Verständnis noch einmal einen Kurzabriss dieser Episode geben: Im Nachlass meines Papas fanden sich einige Tonbänder. Und zwar die „guten alten“ 1/4 Zoll-Rollen, die später durch die etwas handlichere Musikkassette abgelöst wurden. Eine Technik vor meiner Zeit also.

    Auf diesen Bändern fanden sich Aufnahmen von einer Band, in deren Gründungsphase mein alter Herr mitgewirkt hatte. Eine Band aus der Ursuppe des Deutschrocks. Einer Zeit, in der Udo und die Scherben noch mit der Rassel um den Weihnachtsbaum gesprungen sind (um es mal stark verkürzt auf die Spitze zu treiben). „Ihre Kinder“, wie sie sich später nannten, wagten etwas damals sprichwörtlich unerhörtes: Rockmusik mit deutschen Texten. Der ganz große Erfolg und wahrscheinlich auch die nötige Anerkennung blieb der Band verwehrt, auch wenn sie (schon nach dem Ausstieg meines Papas) mehrere LPs (wieder so ein altertümliches Wort!) rausbrachte, um dann später im Streit mit dem Produzenten auseinander zu brechen.

    Papa am Bass
    Papa als 19-Jähriger.

    Mit dem Demotape in den Händen, mit dem die Band später einen Plattenvertrag an Land ziehen sollte, stand ich anfangs etwas hilflos da: Schließlich fehlte mir ein geeignetes Abspielgerät, ganz abgesehen davon, dass ich überhaupt nicht wusste, wie man ein solches Band einlegt, abspielt oder gar flickt. In meinem ersten Forscherdrang, dem der erste Blog-Artikel über die Gründungsphase der „Kinder“ entstammt, war die Beherrschung der altertümlichen Technik aber etwas, das ich getrost vernachlässigen konnte. Schließlich hatte ich einen netten Radiokollegen gefunden, der mir das Band auf hohem technischen Niveau digitalisieren konnte.

    Das Problem damals: Die Bandmaschine des Kollegen konnte die Geschwindigkeit, mit der das Band ursprünglich aufgenommen war, nicht wieder geben. Das Problem habe ich damals in der Nachbearbeitung gelöst. Trotzdem gelang es mit besagtem Gerät nicht, ALLE Demolieder des Bandes hörbar zu machen, weil mein Vater das Band auch mehrfach in diversen Geschwindigkeiten überspielt hatte (ich erspar euch mal technische Details).

    Kurz gesagt: Die Lösung des Problems war der Kauf einer Studer ReVox-Bandmaschine aus den späten 60ern. Ich hatte nämlich neben dem noch nicht ganz ausgereizten Demoband noch einen Haufen weiterer Bänder von Papa geerbt, die ich bis zum jetzigen Zeitpunkt immer noch nicht alle durchhören konnte. Jetzt musste ich mich der alten Technik stellen und zum Glück hatte der ebay-Händler noch eine Kopie der alten Bedienungsanleitung dazugelegt.

    Ich wills gestehen: Ich habe mich vermutlich im Umgang mit den Bändern angestellt wie der sprichwörtlich erste Mensch. So wie ich mich heute über 14-Jährige lustig machen würde, die nix mit einer Telefonwählscheibe anfangen können, hätte ich wohl auf meinen Vater gewirkt, wenn er das Elend hätte mit ansehen müssen. Nach einem ganzen Bandsalatbuffet und mehreren Kilometern von Hand zurück aufgewickeltem Band, weiß ich aber immerhin jetzt wie’s geht.

    Jedes Mal wenn ich die schwergängigen Knöpfe der Bandmaschine drücke, komme ich mir vor, als ob ich eine Zeitmaschine bediene. Denn ich reise tatsächlich zurück in die Jugend meines Vaters, höre was er sich von eigenen Platten oder von Freunden aufgenommen hatte. Vor allem konnte ich aber die Musik, die er als knapp 20-Jähirger selbst gemacht hat, wieder „auf die Bühne bringen“. Ein Stück Auferstehung also.

    Ein Revival vor meinem Ohr feierte zum Beispiel ein fast 50 Jahre alter Sound: Auf einem der Bänder war nämlich ein Mitschnitt eines Auftritts von „Empire State Building“ in Herzo Base aus dem Jahr 1967. Die Band, die da spielte, verdiente sich ihre Kohle sozusagen als Live-Jukebox. Sie spielte Blues-, Rock- und Soulklassiker der Zeit vor amerikanischen Soldaten.

    [soundcloud id=’139525949′]

    Ich kann mir jetzt also die Mukke anhören, mit der mein 19-jähriger Vater vermutlich sein Taschengeld aufgestockt hat. Gleichzeitig kann ich aber auch der Metamorphose einer Band beiwohnen. Und zwar vom Zitieren amerikanischer Tanzmusik-Vorbilder zum Erschaffen eines eigenen, neuen Ausdrucksmittels. Denn aus „Empire State Building“ wurden wenig später „Ihre Kinder“.

    Damals stand die Band vermutlich vor ihrem kreativen Schub, aus dem letztlich der deutschsprachige Rock hervorging. Ich höre also den Übergang vom Imitieren zum Generieren. Spannend!

    Was mir mit meiner „neuen“ Bandmaschine aber auch noch gelang, war das wieder-hörbar-machen von zwei weiteren „Ihre Kinder“-Songs, die es aus dem Demostatus heraus nie zu einer Veröffentlichung geschafft hatten.

    —An dieser Stelle waren die beiden Songs über soundcloud in den Artikel eingebunden—

    Vielleicht wurden diese beiden Songs von der Band oder der Plattenfirma damals verworfen, weil man eine zu große Nähe zum Schlager fürchtete, von dem man sich damals ja gerade absetzen wollte.

    Neben diesen Entdeckungen im Audioformat habe ich aber auch über den ersten Blogartikel zum Thema viele Menschen kennen gelernt, die damals Zeugen der Nürnberger Musikszene oder gar Freunde und Bekannte meines Vaters waren. Menschen, die er als Jugendlicher kannte, die vielleicht sogar zu seinem Freundeskreis gehörten und die er später vermutlich aus den Augen verloren hat. Mit einigen bin ich über die Zeitreisen mit meinem Tonbandgerät in Kontakt gekommen und mit manchen bin ich jetzt sogar bei facebook befreundet oder habe Mails mit ihnen ausgetauscht.

    Und obwohl all diese Menschen – und das meine ich jetzt wirklich liebevoll – alte Säcke sind, komme ich erschreckend oft nicht umhin, sie mir in ihren Zwanzigern vorzustellen. Eben so wie mein Vater sie kannte. Mein Vater, der jetzt auch ein alter Sack wäre. Dann muss ich mich kurz zusammenreißen und mich zwingen, wieder im Jahr 2014 aus meiner Zeitmaschine auszusteigen. Eine Zeit, in der man mit über das Internet gekaufter, 50 Jahre alter Technik in die Vergangenheit eintauchen und über ebendieses Internet mit Menschen aus dieser Zeit kommunizieren kann.

    Meine Kinder werden das sicher bald ganz schön altmodisch finden.

    +++UPDATE 08. April 2014+++

    Nach ursprünglicher Zustimmung hat der Urheber der „Ihre Kinder“-Songs sein Ok für die Veröffentlichung wieder zurückgezogen, weshalb sie hier nicht mehr zu hören sind. Die Tracklist des Demobands sieht wie folgt aus:

    1. Morgens*
    2. Wo gehst Du hin?
    3. Schwarzer Peter
    4. Plastiki und Plastika
    5. Kinderspiel
    6. Schwarzer Engel
    7. Was kann ich denn dafür?*
    8. Madame
    9. Denn er ließ sie einfach steh’n*
    10. Die Da Du, der Flötenspieler
    11. Wenn Liebe das ist
    12. Der Clown
    13. Wenn es sowas auch vielleicht nicht gibt*
    14. Hallo Sie
    15. Der kleine König
    16. Mädchen
    17. Schwarzer Peter (Alternativversion)
    18. Die Da Du, der Flötenspieler (Alternativversion)
    19. Blumenmädchen*
    20. Kinderspiel (Alternativversion)
    21. Wo gehst Du hin? (Alternativversion)
    22. Morgens (Alternativversion)*
    23. Hallo Sie (Alternativversion)
    24. Der Jahrmarkt des Lebens*

    Titel, die mit einem * markiert sind, sind unveröffentlicht

  • Dann meld Dich doch ganz ab!

    Erst übernimmt Facebook WhatsApp, dann fällt WhatsApp stundenlang aus. Selten hat die Lieblings-SMS-Alternative der Deutschen die Newsfeeds der sozialen Netzwerde so verstopft wie in den letzten Tagen. Viele, wie auch ich, haben die Übernahme von WhatsApp durch Facebook dazu genutzt, sich noch einmal nach Messenger-Alternativen umzusehen.

    Meine Facebook-Freunde hat das in zwei Lager gespalten: Dem einen Lager wird beim Gedanken daran flau im Magen, dass eine Datenkrake (Facebook) eine andere mit lange bekannten und neuen Sicherheitslücken (WhatsApp) schluckt. Die andere gehört der „das ist doch alles Hysterie!“-Fraktion an.

    Auch wenn ich in meinem direkten „Freundeskreis“ bei Facebook nur von einer Person weiß, die in ihrer Timeline die Übernahme von WhatsApp durch Facebook beklagt und ihren Wechsel zur im Moment heiß diskutierten, vermeintlich sicheren WhatsApp-Alternative Threema verkündet hat, so macht sich bei vielen Facebook-Nutzern offenbar ein Gefühl der Belästigung durch die Konfrontation mit einer Tatsache breit. Und diese Tatsache heißt: WhatsApp-Kommunikation ist fürchterlich leicht durch Dritte auszuspähen.

    ruthe, WhatsApp und Threema
    Über 14.000 Mal geteilt: Ruthes Reaktion auf WhatsApp und Threema. (© Ralph Ruthe)

    Diesem diffusen Gefühl der Belästigung hat Cartoonist Ralph Ruthe mit einer Zeichnung Ausdruck verliehen, in der sich in einer Art Selbsthilfegruppe ein Teilnehmer eines Stuhlkreises dazu bekennt, WhatsApp gelöscht zu haben und zu Threema gewechselt zu sein. Alle anderen im Kreis verleitet das zu einem verbalen „HALT DIE FRESSE!!!“-Reflex. Der Cartoon ist bisher über 14.000 mal bei Facebook geteilt worden.

    In Technik-Blogs und auch in den sozialen Netzwerken beharken sich also die „Datenschutz-Hysteriker“ und die „faulen Konsumenten“. Ich bin mittlerweile durchaus der Meinung, dass es sich zumindest lohnt, die bekannten Sicherheitslöcher bei WhatsApp im Hinterkopf zu haben und sich zu fragen: Sind 30 Millionen aktive Nutzer in Deutschland wirklich das einzige Argument, einen Dienst zu nutzen der ein Einfalltor für potentielle Schnüffler ist?

    In der Diskussion haben sich zwei Argumente derer, die das von Ruthe verbildlichte Gefühl der Belästigung durch Überlegungen von mündigen Verbrauchern beklagen, besonders häufig wiederholt:

    1. Ich habe doch nichts zu verbergen!

    Dieses Reflex-Argument geht von der Annahme aus, dass die NSA oder sonst ein Geheimdienst sich nur für spezifische Verbrechensmuster wie „Terrorist baut Bombe“ interessiert und dass alle, die keine bombenbauenden Terroristen sind, daher nicht relevant für die Ermittlungsbehörden sind. Wer also keine Bombe plant oder baut, muss sich folglich über sein alltägliches Messenger-Geplänkel mit Freunden keinen Kopf machen.

    Das gleiche Reflex-Argument hat auch so gut wie immer zur Grundlage, dass derjenige der es anbringt, davon ausgeht, dass seine private Kommunikation tatsächlich nur für hochgerüstete Sicherheitsbehörden wie die NSA oder die CIA von Interesse ist. Ich habe tatsächlich mehr als einmal als Argument für den weiteren unkritischen Umgang mit WhatsApp Sätze wie „vor meinem Fenster sehe ich noch keine Ausspähwagen der NSA“ gelesen!

    Das „Ich habe doch nichts zu verbergen!“-Argument geht also insofern an der Realität vorbei, als dass seine Verfechter davon ausgehen, dass eine klar definierte Personengruppe im staatlichen Auftrag ein Interesse an ihnen haben könnte, sie sich aber strafrechtlich nichts vorzuwerfen haben und deshalb auf Privatsphäre in der Kommunikation sowieso von vornherein verzichten können.

    Dazu mal folgendes Beispiel: Auf einem Bahnsteig filmt eine Überwachungskamera. Sie zeichnet im staatlichen Auftrag Menschen auf und gehört der Bundespolizei. Sie ist dazu da, mögliche Straftaten festzuhalten und im Anschluss zu beweisen. Bei der Durchsicht der Bänder aus gegebenem Anlass fällt aber auch ein Betrunkener im Rahmen eines Junggesellenabschieds auf, der sich in irgendeiner Art selbst zum Ei macht. Dieses Video landet – wie und warum auch immer – im Internet. Die Persönlichkeitsrechte des gefilmten sind dahin. „Das Internet“ ist voll mit solchen Videos. Überzeugt euch selbst.

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    Hinweis auf Videoüberwachung. (© Wamito)

    Genauso könnte es mit schlecht bis gar nicht verschlüsselter WhatsApp-Kommunikation eines jeden geschehen. Privates landet „auf Servern in Amerika“, wird aus welchen Gründen auch immer von einer Person ausgelesen und bietet vielleicht Anlass, diese Daten weiterzureichen. Und diese Möglichkeit besteht bei WhatsApp in der Tat – und zwar ohne, dass eine Ermittlungsbehörde tätig werden, oder ein pickliger, sich von Pepsi und Pizza ernährender Computerhacker aus China es gezielt auf euch abgesehen haben muss. Denkt mal drüber nach. Überall da wo Menschen an Informationen herankommen, ist Missbrauch leider nicht auszuschließen. Siehe das oft als Technologie-Spukgespenst durch die Medien geprügelte „Sexting„.

    2. Dann meld Dich doch ganz ab!

    Dieses Reflex-Argument ist fester Bestandteil einer „ganz oder gar nicht“-Theorie, die sich ebenso wie das „Ich hab doch nichts zu verbergen!“-Argument aus einem Gefühl der Hilflosigkeit gegenüber „der Technik“ speist. Es ist gefährlich, weil es in seiner Resignation übersieht, dass eine kritische und vor allem konstruktive Auseinandersetzung mit der Datenschutzfrage für jeden ganz individuell möglich ist.

    Dem „Dann meld Dich doch ganz ab!“-Argument wohnt wieder die Annahme inne, dass man sich im Netz ja eh im rechtsfreien Raum bewegt und daher sowieso alle Privatheit von vornherein aufgehoben ist. Wem diese „Spielregeln“ nicht geheuer sind, der muss halt auf gewisse Programme, Netzwerke oder Apps oder gar gleich das gesamte Netz verzichten.

    Wenn es konkret um WhatsApp geht, wird von Verfechtern dieses Reflex-Arguments oft auf den scheinbaren Widerspruch hingewiesen, dass Menschen, die WhatsApp nicht mehr nutzen wollen, dies ausgerechnet bei Facebook verkünden und ihren Account hier nicht aufgeben wollen. Dabei ist der Zuckerberg mit seinem Facebook doch die viel schlimmere Datenkrake!

    Da ich diese letzte Ausprägung des „Dann meld Dich doch ganz ab!“ öfter sehe, möchte ich hierauf auch noch einmal kurz eingehen: Leute! Auch wenn WhatsApp jetzt zu Facebook gehört, so besteht doch (noch) ein gewisser, entscheidender Unterschied. Wer bei Facebook angemeldet ist, kennt heutzutage die Spielregeln: Er nutzt nämlich gratis ein soziales Netzwerk mit vielen Millionen Mitgliedern zum Preis von eingeblendeter, personalisierter Werbung. Er weiß also, dass der Erfolg des genutzten Angebots sich aus den eigenen preisgegebenen Daten speist und dass seine Daten hier nicht unbedingt vertraulich behandelt werden.

    Doch wie war das mit WhatsApp? Hier zahlt der Nutzer einmalig Geld für eine Dienstleistung, die man als SMS 2.0 bezeichnen kann. Keine Werbung, kaum persönliche Daten über Name und Telefonnummer hinaus, die das Programm vom Nutzer wissen möchte. Viele wähnen sich also hier in relativer Sicherheit, denn SMS konnte ja früher auch keiner mitlesen. Einen als Firmenstrategie offensiv verkauften Handel mit den persönlichen Daten des Nutzers gibt es bei WhatsApp nicht.

    Kurz gesagt: Bei Facebook kaufe ich mit meinen persönlichen Daten ein durchaus ansprechendes Netzwerkangebot. Bei WhatsApp zahle ich „Eintritt“ und gebe dazu auch noch die Kontrolle über meine Privatsphäre ab.

    Was ich persönlich aus der Debatte gelernt habe:

    Ich bin kein Datenschutz-Hysteriker. Ich sehe nicht hinter jedem Pixel eine Gefahr für Leib und Seele. Was ich aber nicht verstehe: Warum fällt es vielen im Netz eigentlich mittlerweile so schwer von einem generellen Gut der Privatsphäre auszugehen? Von einem prinzipiellen Recht auf vertrauliche Kommunikation zwischen zwei Personen?

    Wie konnte es überhaupt zu dem „Ich habe doch nichts zu verbergen!“-Argument kommen, welches genau wie das „Dann meld Dich doch ganz ab!“-Argument ganz selbstverständlich davon ausgeht, dass ebendiese vertrauliche Kommunikation heute ja eh schon nicht mehr möglich ist?

    User sollten vielleicht darüber nachdenken, dass es nicht um eine konkrete Bedrohung durch Hacker, NSA oder sonst wen geht, sondern um das generelle Recht auf sichere Kommunikation.

    Ich persönlich bin übrigens noch bei WhatsApp. Aber eben auch bei Threema. Noch lullt mich die eigene Bequemlichkeit ein. Noch verleiten mich die vielen aktiven Nutzer, mich vorerst nicht gänzlich von WhatsApp zu verabschieden. Noch.