Ich hab da so ’nen Film gesehen. Drei Tage lang. Einen Film, den es noch gar nicht gibt. Einen Film, der nur ca. 15 Minuten lang und wahrscheinlich nie im Fernsehen zu sehen ist. Wie ich dazu gekommen bin, erstaunt mich selbst immer noch ein bisschen.
Rückblende: Wer sich schon mal auf dieser meiner Seite rumgetrieben hat, der weiß, dass ich da an „so ’nem Projekt“ beteiligt bin. Gesichter Bonns heißt es, ist eine fotografische Idee und Herzensangelegenheit meiner Freundin Bea und macht uns ’ne Menge Spaß. Viel mehr dazu ist an dieser Stelle auch unwichtig. Außer vielleicht dass der Fernseh- und Theaterschauspieler Hanno Friedrich auch Teil des Projektes ist, denn: Er wohnt in Bonn(-Beuel).
Und weil Hanno nicht nur ein netter Kerl, sondern auch ein Macher ist, hat er etwa zu diesem Zeitpunkt angefangen, ein Kurzfilmprojekt zu crowdfunden, oder besser: von der crowd funden zu lassen (KOMMA erfolgreich).
Bea und ich dachten sofort: Tolle Sache, unterstützen wir! Also wurden wir erst „Filmproduzenten“/“Teilhaber“, in dem wir spendeten und rührten dazu noch im digitalen Freundeskreis kräftig die Werbetrommel für Hannos Filmidee.
Als dann auch noch ein „Set-Runner“ für den Dreh gesucht wurde, wusste ich zwar nicht, was das überhaupt ist. Weil ich aber irgendwie helfen wollte und außerdem als Videographie-Autodidakt die Chance erkannte, mal bei einer professionellen Filmproduktion dabei sein zu können, schrie ich „Hier!“. Ende Rückblende.
Setfoto, Endlich allein – aber wer ist dieser Unbekannte?
Um mal wieder auf den Film zurückzukommen, der zwar jetzt abgedreht, aber noch lang nicht fertig ist: In ihm geht es um ein Paar, das gemeinsam in den Urlaub fliegen möchte. Sie (gespielt von Saralisa Volm), Karriereweibchen und toughe Businessfrau. Und Er (gespielt von Hanno Friedrich), Lebenskünstler und freiberuflicher sich-durchs-Leben-Wurschtler. Dazu noch der Bürokollege des Karriereweibchens (gespielt von Frank Streffing), der in ihrer Abwesenheit die Agenturgeschäfte weiter führen soll.
Ich will nicht zu viel verraten, aber: Es wird ein subtiler Kurz-Psychothriller mit Anleihen aus dem Horrorfilm und einer interessanten Auflösung bei gleichzeitig offenem, aber nicht grade glücklichem Ende.
Für mich interessant war bei der ganzen Sache auch weniger das Drehbuch, der Cast oder das Genre des Films (auch wenn ich sicher bin, dass es ein guter Film werden wird!), sondern eher die Gelegenheit, mal bei einem „nicht-journalistischen“ Dreh im Weg stehen dabei sein zu können.
Zwar hatte ich vor Drehbeginn mal gegoogelt was ein Set-Runner denn so ist, wusste also in etwa, was da so auf mich zukommen würde. Trotzdem war ich natürlich aufgeregt, als es am Sonntag losging. So viele Leute, die ich nicht kannte, auch wenn die Crew inklusive mir mit 13,5 Mitgliedern (Hannos 10-jähriger Sohn durfte die Klappe halten schlagen) noch recht übersichtlich war. So viele Menschen aus der „Filmwelt“, von denen ich nicht wusste, wie sie sich mir gegenüber als Fremden in dieser Welt verhalten würden.
Um es vorweg zu nehmen: Keiner hat sich mir gegenüber doof verhalten, aber natürlich ist man als Set-Runner eine Art Praktikant und somit Arsch vom Dienst.
Meine Aufgaben konkret waren:
Schauspieler von A nach B fahren (Flughafen, Drehorte etc.)
Für Happa-Happa an den Drehorten sorgen (jetzt weiß ich als Nicht-Kaffetrinker auch, wie man mit einer French Press umgeht)
Happa-Happa kaufen bzw. beim Caterer abholen (auch von mir noch mal ein dickes Danke an’s Gesindehaus in Bonn-Poppelsdorf)
Als Licht-Double zur Verfügung sitzen, stehen, liegen
Für Ruhe an den Drehorten sorgen und Schaulustige beim Dreh in Schach halten
Kisten, Koffer, Kästen schleppen
Glasflächen putzen (kein Scheiß)
Aufräumen (ich hoffe, die Jungs und Mädels vom Top Magazin Bonn sind zufrieden mit meiner Wiederherstellung des Drehortes 😀
Ab und an mal ne Klappe schlagen
Und hauptsächlich: Einfach für alles zur Verfügung stehen
Insgesamt bedeutet das: Viel warten und da sein. Nicht immer konnte ich mich in diesen drei Tagen nützlich machen, denn das Team war eingespielt und die Sets teilweise sehr eng, so dass ich auch wusste, wann ich mich zurück zu ziehen hatte. Trotzdem war ich natürlich immer da, wenn ich gebraucht wurde und mir auch für keinen Auftrag zu schade. Kurzum: Ich denke, ich habe den Job für einen Anfänger ganz gut gemacht.
Sieht nach Polizeiroboter bei der Sprengung eines Gepäckstücks aus – ist aber ne Kamera.
Dadurch, dass ich während des Drehs meist auf stand-by war, hatte ich oft Gelegenheit mit der Crew zu schnacken. So lernte ich den Tonmann kennen, der bei Stromberg (TV und Film) auch als Nebendarsteller am Start war. Oder den Setfotografen, der extra aus Dortmund angerückt war und genau wie die anderen ohne Gage (was aber für alle vorher klar war) und nur für den „Ruhm“ arbeitete. Oder die Visagistin, die am letzten Drehtag mit ihrer deutschen Dogge „Pepper“ zum Set kam und in die ich mich unsterblich verliebt habe (in die Dogge meine ich jetzt).
Dauerbeschäftigt waren Schauspieler, Regie, Kameraleute und vor allem die Beleuchter, die Lichtsituationen geschaffen haben, von denen ich als one-man-band Videograph nur feucht träumen kann. Irre, wie da alle Zahnräder des gesamten Teams ineinander gegriffen haben! Und irre, wie lang es beim Film dauert, bis gedreht werden kann und wenige Filmsekunden im Kasten sind (zur Erinnerung: 15 Minuten Kurzfilm, drei Drehtage).
Für mich als „brotlosen Journalisten“ war es auch nett, mich mit andren Kreativen austauschen zu können, die ebenfalls als Freiberufler ein ähnliches Leben in Freiheit bei gleichzeitiger finanzieller Ungewissheit führen.
Mein kleiner Ausflug in die Filmwelt war unterm Strich sehr spannend, mit sehr viel Warten und Zeiteinsatz verbunden, hat mir aber auch Kontakte in diverse Filmbereiche beschert – und man weiß ja nie, wofür’s mal gut ist 😉
Die Zeit wird kommen, in der mich mein eigener Nachwuchs fassungslos anstarren wird, nachdem ich ihm mitgeteilt habe, dass ich früher Musik auf CDs und Filme auf DVDs geschaut habe. Für noch irritiertere Blicke wird dann meine Aussage sorgen, nach der ich ganz früher sogar noch Musik auf Kassette abgespielt und aus dem UKW(!)-Radio aufgenommen habe und mich auch noch an eine Zeit erinnern kann, als Texte auf Schreibmaschine (ohne @-Zeichen!) geschrieben wurden und Telefone noch eine Wählscheibe hatten.
Ich werde mir dann zwar steinalt vorkommen, aber das ist dann halt so. Vielleicht kommt mir die analoge Einöde dann in der Rückschau sogar wie das Paradies vor, wenn ich mit tränenverklärtem Blick an das rauschige Bild einer VHS-Kassette zurückdenke. Gegen technischen Fortschritt ist natürlich generell nichts einzuwenden, aber ich muss schon zugeben, dass Technologiestandards noch nie so kurzlebig waren wie heute.
So wie meinen ungeborenen Kindern ging es mir neulich auch mal: Davon wie Papa beinahe den Deutschrock erfand habe ich an anderer Stelle zwar schon berichtet. Trotzdem muss ich hier zum allgemeinen Verständnis noch einmal einen Kurzabriss dieser Episode geben: Im Nachlass meines Papas fanden sich einige Tonbänder. Und zwar die „guten alten“ 1/4 Zoll-Rollen, die später durch die etwas handlichere Musikkassette abgelöst wurden. Eine Technik vor meiner Zeit also.
Auf diesen Bändern fanden sich Aufnahmen von einer Band, in deren Gründungsphase mein alter Herr mitgewirkt hatte. Eine Band aus der Ursuppe des Deutschrocks. Einer Zeit, in der Udo und die Scherben noch mit der Rassel um den Weihnachtsbaum gesprungen sind (um es mal stark verkürzt auf die Spitze zu treiben). „Ihre Kinder“, wie sie sich später nannten, wagten etwas damals sprichwörtlich unerhörtes: Rockmusik mit deutschen Texten. Der ganz große Erfolg und wahrscheinlich auch die nötige Anerkennung blieb der Band verwehrt, auch wenn sie (schon nach dem Ausstieg meines Papas) mehrere LPs (wieder so ein altertümliches Wort!) rausbrachte, um dann später im Streit mit dem Produzenten auseinander zu brechen.
Papa als 19-Jähriger.
Mit dem Demotape in den Händen, mit dem die Band später einen Plattenvertrag an Land ziehen sollte, stand ich anfangs etwas hilflos da: Schließlich fehlte mir ein geeignetes Abspielgerät, ganz abgesehen davon, dass ich überhaupt nicht wusste, wie man ein solches Band einlegt, abspielt oder gar flickt. In meinem ersten Forscherdrang, dem der erste Blog-Artikel über die Gründungsphase der „Kinder“ entstammt, war die Beherrschung der altertümlichen Technik aber etwas, das ich getrost vernachlässigen konnte. Schließlich hatte ich einen netten Radiokollegen gefunden, der mir das Band auf hohem technischen Niveau digitalisieren konnte.
Das Problem damals: Die Bandmaschine des Kollegen konnte die Geschwindigkeit, mit der das Band ursprünglich aufgenommen war, nicht wieder geben. Das Problem habe ich damals in der Nachbearbeitung gelöst. Trotzdem gelang es mit besagtem Gerät nicht, ALLE Demolieder des Bandes hörbar zu machen, weil mein Vater das Band auch mehrfach in diversen Geschwindigkeiten überspielt hatte (ich erspar euch mal technische Details).
Kurz gesagt: Die Lösung des Problems war der Kauf einer Studer ReVox-Bandmaschine aus den späten 60ern. Ich hatte nämlich neben dem noch nicht ganz ausgereizten Demoband noch einen Haufen weiterer Bänder von Papa geerbt, die ich bis zum jetzigen Zeitpunkt immer noch nicht alle durchhören konnte. Jetzt musste ich mich der alten Technik stellen und zum Glück hatte der ebay-Händler noch eine Kopie der alten Bedienungsanleitung dazugelegt.
Ich wills gestehen: Ich habe mich vermutlich im Umgang mit den Bändern angestellt wie der sprichwörtlich erste Mensch. So wie ich mich heute über 14-Jährige lustig machen würde, die nix mit einer Telefonwählscheibe anfangen können, hätte ich wohl auf meinen Vater gewirkt, wenn er das Elend hätte mit ansehen müssen. Nach einem ganzen Bandsalatbuffet und mehreren Kilometern von Hand zurück aufgewickeltem Band, weiß ich aber immerhin jetzt wie’s geht.
Jedes Mal wenn ich die schwergängigen Knöpfe der Bandmaschine drücke, komme ich mir vor, als ob ich eine Zeitmaschine bediene. Denn ich reise tatsächlich zurück in die Jugend meines Vaters, höre was er sich von eigenen Platten oder von Freunden aufgenommen hatte. Vor allem konnte ich aber die Musik, die er als knapp 20-Jähirger selbst gemacht hat, wieder „auf die Bühne bringen“. Ein Stück Auferstehung also.
Ein Revival vor meinem Ohr feierte zum Beispiel ein fast 50 Jahre alter Sound: Auf einem der Bänder war nämlich ein Mitschnitt eines Auftritts von „Empire State Building“ in Herzo Base aus dem Jahr 1967. Die Band, die da spielte, verdiente sich ihre Kohle sozusagen als Live-Jukebox. Sie spielte Blues-, Rock- und Soulklassiker der Zeit vor amerikanischen Soldaten.
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Ich kann mir jetzt also die Mukke anhören, mit der mein 19-jähriger Vater vermutlich sein Taschengeld aufgestockt hat. Gleichzeitig kann ich aber auch der Metamorphose einer Band beiwohnen. Und zwar vom Zitieren amerikanischer Tanzmusik-Vorbilder zum Erschaffen eines eigenen, neuen Ausdrucksmittels. Denn aus „Empire State Building“ wurden wenig später „Ihre Kinder“.
Damals stand die Band vermutlich vor ihrem kreativen Schub, aus dem letztlich der deutschsprachige Rock hervorging. Ich höre also den Übergang vom Imitieren zum Generieren. Spannend!
Was mir mit meiner „neuen“ Bandmaschine aber auch noch gelang, war das wieder-hörbar-machen von zwei weiteren „Ihre Kinder“-Songs, die es aus dem Demostatus heraus nie zu einer Veröffentlichung geschafft hatten.
—An dieser Stelle waren die beiden Songs über soundcloud in den Artikel eingebunden—
Vielleicht wurden diese beiden Songs von der Band oder der Plattenfirma damals verworfen, weil man eine zu große Nähe zum Schlager fürchtete, von dem man sich damals ja gerade absetzen wollte.
Neben diesen Entdeckungen im Audioformat habe ich aber auch über den ersten Blogartikel zum Thema viele Menschen kennen gelernt, die damals Zeugen der Nürnberger Musikszene oder gar Freunde und Bekannte meines Vaters waren. Menschen, die er als Jugendlicher kannte, die vielleicht sogar zu seinem Freundeskreis gehörten und die er später vermutlich aus den Augen verloren hat. Mit einigen bin ich über die Zeitreisen mit meinem Tonbandgerät in Kontakt gekommen und mit manchen bin ich jetzt sogar bei facebook befreundet oder habe Mails mit ihnen ausgetauscht.
Und obwohl all diese Menschen – und das meine ich jetzt wirklich liebevoll – alte Säcke sind, komme ich erschreckend oft nicht umhin, sie mir in ihren Zwanzigern vorzustellen. Eben so wie mein Vater sie kannte. Mein Vater, der jetzt auch ein alter Sack wäre. Dann muss ich mich kurz zusammenreißen und mich zwingen, wieder im Jahr 2014 aus meiner Zeitmaschine auszusteigen. Eine Zeit, in der man mit über das Internet gekaufter, 50 Jahre alter Technik in die Vergangenheit eintauchen und über ebendieses Internet mit Menschen aus dieser Zeit kommunizieren kann.
Meine Kinder werden das sicher bald ganz schön altmodisch finden.
+++UPDATE 08. April 2014+++
Nach ursprünglicher Zustimmung hat der Urheber der „Ihre Kinder“-Songs sein Ok für die Veröffentlichung wieder zurückgezogen, weshalb sie hier nicht mehr zu hören sind. Die Tracklist des Demobands sieht wie folgt aus:
Morgens*
Wo gehst Du hin?
Schwarzer Peter
Plastiki und Plastika
Kinderspiel
Schwarzer Engel
Was kann ich denn dafür?*
Madame
Denn er ließ sie einfach steh’n*
Die Da Du, der Flötenspieler
Wenn Liebe das ist
Der Clown
Wenn es sowas auch vielleicht nicht gibt*
Hallo Sie
Der kleine König
Mädchen
Schwarzer Peter (Alternativversion)
Die Da Du, der Flötenspieler (Alternativversion)
Blumenmädchen*
Kinderspiel (Alternativversion)
Wo gehst Du hin? (Alternativversion)
Morgens (Alternativversion)*
Hallo Sie (Alternativversion)
Der Jahrmarkt des Lebens*
Titel, die mit einem * markiert sind, sind unveröffentlicht
„B.o.n.n. – Bundesstadt ohne nennenswertes Nachtleben.“
„Das schönste am Bonner Wochenende ist Köln.“
[/quote_left]
Solche Vorurteile ist man gewohnt hier in Bonn. Wir, die wir hier leben, kennen sie alle. Bonn, die Provinz. Bonn, das Bundesdorf, in dem nix los ist. Das war zu Hauptstadtzeiten schon so und es hat sich erst recht seit dem Wegzug der Regierung nicht geändert. Die beiden Zitate von oben habe ich besonders oft während meines Studiums gehört. Damals, als man noch feiern ging. Alle, die in Köln wohnten, ließen sich nie dazu erbarmen mal zum Feiern oder „einen trinken gehen“ nach Bonn zu kommen, erwarteten aber im Gegenzug, dass – wenn gefeiert oder getrunken wurde – dies stets in Köln zu geschehen hatte.
Entweder nimmt mit zunehmendem Alter bei mir die regionale Identifikation zu oder Bonn ist in den letzten Jahren wirklich bunter und kulturell vielfältiger geworden. Jedenfalls empfinde ich Bonn persönlich schon länger nicht mehr als so provinziell, wie es mir zu Studienzeiten tatsächlich einmal vorkam. In Bonn gibt es mittlerweile viele junge und kreative Köpfe, die das kulturelle Angebot erweitern und vervielfältigen.
Trotzdem gibt es gewisse avantgardistische Bereiche, die man nicht automatisch mit Bonn verbindet und (auch als Journalist) erst einmal in Köln vermutet, wenn man in der Umgebung danach sucht. Die Streetart ist da so ein Beispiel.
Dabei gibt es in Bonn zwei phantastische Vertreter dieser Kunst: dropix und 1zwo3. Ich weiß gar nicht wann und wie ich über die beiden gestolpert bin. Vielleicht hab ich einen der beiden bei facebook gesehen, vielleicht hab ich ihre kreativen Ergüsse auch da erblickt, wo sie wahrgenommen werden wollen: Auf der Straße.
Ich weiß nur, dass ich die Kunstform, die beide gewählt haben, von Anfang an cool fand: Paste-Ups – das sind sozusagen geklebte Graffiti. Ein Motiv wird erdacht, zu Hause auf eine Art Plakat gemalt und dann irgendwo im Straßenbild mit Kleister an die Wand gebracht. Gegner der Streetart, die auch Graffiti per se als Sachbeschädigung ansehen, könnte man Paste-Ups also vielleicht als „Vandalismus light“ verkaufen. Denn das Gute aus Sicht von Spießern und Kunstbanausen ist: Paste-Ups sind vergänglich und überstehen meist nicht mal einen mittelprächtigen Regenschauer.
Im Sommer habe ich die beiden Paste-Up-Jungs persönlich kennen gelernt. Damals habe ich einen Beitrag zu Paste-Ups für Radio Bonn/Rhein-Sieg gemacht (der Webartikel hierzu ist leider der Neugestaltung der Sender-Website zum Opfer gefallen und hat nur in Screenshot-Form überlebt). Zwar legen dropix und 1zwo3 Wert auf Anonymität, trotzdem kann ich verraten: Beide sind „so um die 30“ und betreiben ihre Street Art sozusagen aus Gründen der Entspannung. Denn beide kommen beruflich aus „Richtung Grafikdesign“ und leben nach Feierabend an Bonns Häuserwänden ihre Kreativität aus, die bei der Alltagsarbeit oft auf der Strecke bleibt (ähnliches tue ich ja mit meinem Blog hier auch, insofern waren mir die beiden gleich sympathisch).
Die Chance, dass man in Bonn an irgendeiner Häuserwand, einem Stromkasten oder einem Brückenpfeiler schon mal ein Paste-Up der beiden gesehen hat, dürften recht hoch sein. Beide verbindet nicht nur die Kunstform Paste-Up, sondern auch Gemeinsamkeiten bei der Motivwahl: Oft stehen nämlich Comic- oder Tierfiguren im Vordergrund und erzählen cartoonartig eine absurde Geschichte. Bei aller Ähnlichkeit gibt es aber einen gravierenden Unterschied: 1zwo3 zeichnet per Hand (Edding), dropix mit digitalen Tools und setzt dabei auch häufiger Farbe ein. Als „Demarkationslinie“ dient den beiden die Oxfordstraße: dropix Motive sind eher in der Altstadt Bonns zu finden, 1zwo3 klebt eher in der Innenstadt oder am Rhein. All das haben mir beide damals gemütlich auf einer kleinen Spielplatzbank (s. Titelbild oben) erzählt.
Mit dabei beim Radiointerview war auch meine Freundin, die sich schon damals sehr intensiv mit ihrem Foto-Projekt Gesichter Bonns auseinander gesetzt hatte. Auf der Suche nach Bonnern, die für die Stadt stehen, schienen die beiden Streetart-Jungs ja tatsächlich bestens geeignet und mittlerweile ist zumindest 1zwo3 schon ein Gesicht Bonns geworden.
1zwo3 hatte außerdem zu dieser Zeit eine Ausstellung in der Fabrik 45, in der er seine Paste-Ups mal nicht im Straßenbild, sondern klassisch im Bilderrahmen zeigen wollte. Natürlich haben meine Freundin und ich uns diese Ausstellung dann angeschaut. In ein Paste-Up, bei dem Mäuse vor einem Fernseher sitzen und Mickey Mouse schauen, habe ich mich damals ein wenig verliebt und mittlerweile hängt dieses Werk neben anderen „echten 1zwo3s“ bei uns in der Wohnung.
Aber auch dropix hat sozusagen Spuren in meinem Leben hinterlassen: Das Logo für diese Website links oben über der Navigation entspringt seiner digitalen Feder und spätestens das hat mich schließlich dazu veranlasst, über Bonns Posterboys zu bloggen. Denn Bonn ist – zumindest was die Streetart-Spielart Paste-Ups angeht – dank dropix und 1zwo3 keine Provinz mehr.
Also, liebe Bonner, aber auch liebe Erdenbürger: Nehmt euch ein Beispiel und tut was! Für euch, eure eigene Kreativität oder gleich für die ganze Kulturlandschaft um euch herum. Den Schlusssatz, den ich extra noch mal aus meinem Audioarchiv gepuhlt habe, überlass ich deshalb dropix: „Ich fänd’s schön, wenn noch mehr Leute den Mut haben würden, ihrer Kreativität freien Lauf zu lassen und das auch mal der Öffentlichkeit zu zeigen!“
Nürnberg Ende 1968: Sechs Kerle, grade dem Teenager-Alter entwachsen, nehmen unter abenteuerlichen Bedingungen in einer ehemaligen Baracke des Reichsarbeitsdienstes ein Demoband auf. Einer dieser Kerle: Mein Vater. Was sie da aufnehmen ist ein bis dahin nie gehörter Sound: Rockmusik mit deutschen Texten. Zu jener Zeit gehörte die deutsche Sprache nämlich wie selbstverständlich dem Schlager. Denn gerockt wurde auch in Deutschland ausschließlich auf Englisch. Gut ein Jahr später, im Sommer 1969, kommt eine LP auf den Markt, auf der sich fast alle Lieder des Demobands wieder finden. Die Band nennt sich mit Veröffentlichung des Albums „Ihre Kinder“ und hat nun sozusagen auch offiziell den Deutschrock erfunden. Mein Vater war da schon nicht mehr Teil der Band.
Zwei Dinge muss man sich aus heutiger Sicht klar machen: 1. Mit Rockmusik konnte man zu jener Zeit das so genannte „Establishment“ im Mark erschüttern. Wer lange Haare hatte und Rockmusiker war, war mindestens ein verdächtiges Subjekt. 2. Heute, nach gefühlten Jahrhunderten mit Lindenberg, Ton Steine Scherben (Rio Reiser), Kraftwerk, Falco, Westernhagen, Ärzten, Hosen und Grönemeyer, Selig, Helden und Tocotronic, Sido und Jan Delay ist es kaum vorstellbar, dass es mal ein Zeit gegeben haben soll, in der Rock- und Popmusik mit deutschen Texten unentdecktes Neuland war, das erst mühevoll erobert werden musste.
Hier wurden die Demos der „Proto-Kinder“ aufgenommen: RAD-Baracken in Nürnberg.
Doch zurück ins Jahr 1968, zurück in die alte Baracke, zurück also nach Nürnberg. Warum sollte ausgerechnet hier in der Provinz die Keimzelle des Deutschrock gewesen sein, in der sich der Sound der Zukunft entwickelt hat? Musikalische Avantgarde verbindet man heute schließlich eher mit Hamburg oder Berlin, auf keinen Fall aber mit Nürnberg. Von meinem Vater weiß ich aber, dass er als Jugendlicher in Nürnberg in verschiedenen Bands gespielt hat. Damals, Mitte der Sechziger, gab es eine regelrechte Beat-Szene in dieser Stadt. Nürnberg war als ehemalige „Stadt der Reichsparteitage“ Teil der amerikanischen Besatzungszone und voller G.I.s, die natürlich gerne Abends in den Clubs englischsprachige Musik gehört haben. Meine Oma sagt heute noch, dass mein Vater damals „bei die Ami Musik gespielt“ hat. Anscheinend hatte sie aber keine Probleme damit. Aber natürlich nicht nur um bei den „Amis“ Geld zu verdienen, wurde damals auf Englisch gesungen – das Lebensgefühl und somit auch der Soundtrack einer ganzen Generation war englisch und hatte entweder den Stempel UK oder US.
Dass mein Vater Zeuge und im Grunde auch Mitgestalter einer so spannenden Zeit war, einer Zeit, in der er – wenn auch nur für einen Moment – der Großvater von Cro oder Philipp Poisel war, das hat er eigentlich nie erwähnt. Vielleicht war er dafür einfach zu bescheiden oder es war ihm schlichtweg nicht ganz klar. Ich erinnere mich nur, dass er mal erzählt hatte, dass er in einer Band war, die später ein Album rausgebracht hätte. Ich hab nie genau nachgefragt, er hielt es wohl auch nicht für so wichtig. Und wie das halt so ist: Man interessiert sich immer erst für gewisse Dinge, wenn es zu spät ist. Mein Vater ist tot, ich kann ihn nicht mehr fragen und ich hätte die Sache mit seiner frühen musikalischen „Karriere“ auch nicht weiter verfolgt, wenn ich in seinen Sachen nicht eine gebrannte CD mit der Aufschrift „Ihre Kinder – First Demos“ gefunden hätte.
In der CD-Hülle: Der Name und die Anschrift eines mir Unbekannten, notiert in der Handschrift meines toten Vaters. Außerdem fand sich in Papas Aktenschrank eine kleine Sammlung von Zeitungsausschnitten über seine Jugendbands, darunter auch Ausschnitte über „Ihre Kinder“. Diese Sammlung reichte weit über die Zeit hinaus, in der er selbst Teil der Band war. Die Geschichte der „Kinder“ scheint ihn also weit über sein Mitwirken hinaus interessiert zu haben. Nachdem ich mich dann erst mal über „Ihre Kinder“ schlau gemacht hatte und auch auf den einestages-Artikel des spiegel gestoßen war, in der die Band als die „Großväter des Deutschrock“ geadelt werden, war meine Neugierde endgültig geweckt: Ich beschloss den geheimnisvollen Unbekannten aus der CD-Hülle ausfindig zu machen.
Mit etwas Grips und den Möglichkeiten des Internets war es relativ leicht, die Telefonnummer des Unbekannten herauszufinden: Es stellte sich heraus, dass mein alter Herr noch kurz vor seinem Tod mit einem Musikliebhaber/-sammler in Kontakt stand, der Erinnerungen über die damalige Beat- und Rockszene rund um Nürnberg zusammen getragen hatte. Mein Vater hatte ihm Bildmaterial aus seinem privaten Jugend-Fotoalbum zur Verfügung gestellt und auch das Demoband der „Kinder“, das dieser dann schließlich auf CD gezogen hatte. Das 1/4 Zoll-Originaltonband musste also noch irgendwo sein und tatsächlich habe ich es schließlich auf einem alten sowjetischen Tonbandgerät auf dem Dachboden meines Elternhauses wieder gefunden. So war es mir möglich dieses einzigartige Tondokument mit wohlwollender Hilfe eines lieben Kollegen und etwas digitaler Nachbearbeitung meinerseits wieder zum Vorschein zu bringen.
Die Qualität meiner Bandkopie übertraf die Qualität der gebrannten CD um Längen und obwohl ich noch nicht einordnen konnte, was genau ich da eigentlich wieder hörbar gemacht hatte, war ich beeindruckt von dem Material: Mit welcher erstaunlichen musikalischen Reife sich die Band Anfang ihrer Zwanziger im Repertoire von Rock, Jazz, Folk und Blues bediente und auskannte und sich gleichzeitig abmühte eine eigene Sprache zu finden, nötigt mir immer noch großen Respekt ab. Ich beschloss mir die Platten der „Kinder“ über amazon zu besorgen und begann meine Entdeckungsreise mit dem offiziellen Debut der Band „…ihre kinder“.
Von den zwölf Liedern der Debut-LP waren bereits zehn auf dem Demotape zu hören („Mädchen“, „Kinderspiel“, „Madame“, „Hallo, Sie“, „Der Clown“, „Schwarzer Engel“, „Wenn Liebe das ist“, „Palstiki und Plastika“). Vielleicht interessanter sind aber die fünf Titel, die es später nicht auf eine offizielle „Kinder“-Veröffentlichung geschafft haben: „Morgens“, „Wo gehst Du hin?“, „Denn er ließ sie einfach steh’n“, „Di Da Du, der Flötenspieler“, „Wenn es sowas auch vielleicht nicht gibt“. Vielleicht waren auf dem Tape sogar noch mehr Lieder – gegen Ende der Demoaufnahmen ist das Band nämlich einmal überspielt worden – zu hören ist dann plötzlich „Get Back“ von den Beatles.
Spätestens jetzt war ich mehr als bereit herauszufinden, wer von der Urbesetzung der „Kinder“ noch am leben war und Auskunft geben konnte über das was ich da gehört hatte. Da mir auf Grund der Geschichte meines Vaters zu diesem Zeitpunkt schon klar war, dass die Urbesetzung der „Kinder“ sich nicht mit der Bandbesetzung bei Erscheinen der ersten LP deckte und dass bei Wikipedia unter dem Stichpunkt „Gründungsmitglieder“ eh nur unzutreffende Mutmaßungen stehen, stand meine Detektivarbeit vor einem frühen Scheitern. Hilfe kam aber zum Glück von meinem toten Papa selbst: Er hatte – wohl noch in seinen letzten Lebensjahren – die Bandfotos in seinem Fotoalbum mit Zetteln versehen, auf denen die Namen der fotografierten Personen zu lesen sind.
„Empire State Building“, aus denen später „Ihre Kinder“ hervorgingen: Kalle Mack (hinten links), Peter Schmidt, Sonny Hennig, Charly Mäder, Walti Schneider (vorne links), Muck Groh
Mit ein bisschen Recherche, von der ich gleich noch etwas näher berichten möchte, fand ich folgendes heraus: Anders als bei Wikipedia zu lesen ist, gingen die „Kinder“ Ende 67/Anfang 68 aus der Soulband „Empire State Building“ hervor. Damals schon (neben Papa) an Bord: Sonny Hennig, Muck Groh, Walti Schneider. Diese drei sind der Kern der „Kinder“ und auch auf der Debut-LP dabei. Dazu kamen ab diesem Zeitpunkt noch Olders Frenzel, Georgie Meyer und Judith Brigger. Ernst Schultz, der ebenfalls für die Entwicklung der „Kinder“ wichtig war, kam erst ab der zweiten LP „Leere Hände“ dazu. Hennig und Schultz kannten sich aber vorher schon durch ihre Band „Jonah & The Whales„, bei der auch Kinder-Produzent und -Mäzen Jonas Porst schon mitmischte.
Daher nehme ich an, dass folgende Personen an den „Kinder-„Demobänder beteiligt waren: Sonny Hennig, Walti Schneider, Muck Groh, Charly Mäder, Peter Schmidt und Kalle Mack. Ein im Internet aufrufbarer Auszug über die „Kinder“ aus dem 1996 erschienenen Buch „Cosmic Dreams at Play – A guide to German Progressive and Electronic Rock“ scheint das auch weitestgehend zu bestätigen:
(…) in 1968, Jonas Porst and Sonny Hennig decided to form a new group with Muck Groh (guitar), Karl Mack (bass), Peter Schmidt (drums) and Georgie Meyer (flute, vocals). Ihre Kinder was to be a politically aware band using German lyrics. (…) Several demo tapes were recorded but no record companies were interested. In July – August 1969 an album was recorded at the Dierks Studio at the band’s own risk; and was eventually released by Phillips. Mack had now been replaced by Walti Schneider (bass). A female vocalist, Judith Brigger, also took part in this project.
Und mit diesem kleinen Bogen über die Bandgeschichte komme ich zurück zu meiner Suche nach der musikalischen Vergangenheit meines Papas: Wenn jemand etwas zu den Demobänder und zur frühen Bandgeschichte der „Kinder“ sagen konnte, dann waren es – natürlich – die Gründungsmitglieder bzw. die Musiker des Demobandes. Walti Schneider war – wie mein Vater – bereits verstorben. Muck Groh hat meine schriftlichen Anfragen nie beantwortet.
Mit wem ich tatsächlich schriftlich und dann auch telefonisch in angenehmen Kontakt gekommen bin ist Sonny Hennig. Heute hat er mit Musik „nur“ noch im Radio zu tun: Er sendet in Nürnberg bei Radio Gong mit „Rock Zock Reloaded“ eine eigene Musikshow. Nach den „Kindern“ hat sich Sonny (offenbar schwer unter dem Einfluss von AFN) eine zweite Karriere im Rundfunk aufgebaut. Er konnte mir viel über die aufregenden Jahre mit „Ihre Kinder“ erzählen. Auch zu den Demobändern erinnerte er sich an interessante Geschichten: Mit den Bändern unter’m Arm hat er demnach damals versucht einen Plattenvertrag an Land zu ziehen und hat das Material auch einer Platenfirma in Hamburg vorgelegt, die mit Deutschrock allerdings so gar nix anzufangen wusste und ihm riet „mehr wie Roy Black“ zu klingen, dann könne das vielleicht was werden.
Meinen Vater hatte er als guten Bassisten und netten Kerl in Erinnerung. Natürlich wollte ich von Sonny auch wissen, warum mein Vater damals die Band verlassen hat. So ganz genau konnte er das zwar auch nicht mehr sagen, aber wir beide erklären es uns so, dass mein Vater das Wagnis, als Musiker auf den Durchbruch zu hoffen, nicht eingehen und lieber Beamter werden wollte. Das sieht ihm jedenfalls ähnlich und wenn man bedenkt, dass die „Kinder“ trotz nationalem TV-Auftritt bei „Wünsch Dir was“ und nach mehreren Studio-LPs nie ganz groß rausgekommen sind, scheint die Entscheidung meines alten Herren rückblickend für ihn ja die richtige gewesen zu sein. Die Lorbeeren als erste mit deutscher Rockmusik durchschlagende Erfolge gefeiert zu haben, haben jedenfalls Udo Lindenberg und Rio Reiser geerntet. Die „Kinder“ waren vermutlich damals textlich etwas zu „verkopft“, später vielleicht zu „politisch“ und hatten möglicher Weise auch einfach das Pech, nicht nach Hamburg oder Berlin gegangen zu sein.
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Abschließend habe ich mich nach langem Überlegen dazu entschlossen, die bisher unveröffentlichten Lieder des „Ihre Kinder“-Demobands und einige ausgewählte Demoversionen von später veröffentlichten Songs bei soundcloud hochzuladen. Ich bin der Überzeugung, dass dieses Material den Urknall des deutschsprachigen Rocks darstellt und deshalb gehört werden sollte, auch wenn die „Ur-Kinder“ dieses Material nie zur Veröffentlichung produziert haben. Hier erst einmal die fünf Demos, die unveröffentlicht sind:
—An dieser Stelle war der entsprechende Song über soundcloud in den Artikel eingebunden—
Ein Song, der von einer pumpenden Orgel und harten Gitarrenriffs begleitet wird. Wirkt auf mich textlich noch nicht ganz ausgefeilt und etwas diffus.
—An dieser Stelle war der entsprechende Song über soundcloud in den Artikel eingebunden—
Ein Stück mit jammernder Mundharmonika, Klavier und mehrstimmigem Backgroundgesang im Chorus. Zwischendurch unterhalten sich Mundharmonika und E-Gitarre. Dazu die Frage „Wo gehst Du hin?“. Ein waschechter Blues auf Deutsch!
—An dieser Stelle war der entsprechende Song über soundcloud in den Artikel eingebunden—
Wieder Mundharmonika und Blues-Stimmung. Eine unerwiderte Liebe, ein uneheliches Kind. Skandal-Material zu jener Zeit.
—An dieser Stelle war der entsprechende Song über soundcloud in den Artikel eingebunden—
Scheinbar kindliche Elemente finden sich bei den frühen Kindern häufiger. Der „Flötenspieler“ klingt wie ein lustiges Kinderlied, geht textlich aber tiefer. Driftet gegen Ende etwas ins Groteske ab.
—An dieser Stelle war der entsprechende Song über soundcloud in den Artikel eingebunden—
Das vielleicht experimentellste Lied aus den Demos. Der Backgroundgesang im Chorus schwankt zwischen Bierzelt und Seemannsgesang, die Zwischenrufe sind ungewöhnlich und ihrer Zeit vielleicht etwas voraus. Das Klavierspiel zur Mitte hin gehtin Richtung Boogie Woogie.
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Zu guter Letzt drei Demoversionen von Songs, die später leicht verändert auf dem Album „…ihre Kinder“ gelandet sind:
—An dieser Stelle war der entsprechende Song über soundcloud in den Artikel eingebunden—
In dieser Demoversion dachte ich erst, der Sänger könnte vielleicht mein Vater sein, aber auf Nachfrage sagte mir Sonny Hennig, dass es sich um seine Stimme handelt. In der späteren Version auf der Kinder-Debut-LP wird „Schwarzer Engel“ von Judith Brigger gesungen. Die Demoversion klingt außerdem weniger synthetisch als die Albumversion.
—An dieser Stelle war der entsprechende Song über soundcloud in den Artikel eingebunden—
Auch die spätere LP-Version wird von Judith Brigger gesungen. Im Demostatus klingt auch“Plastiki und Plastika“ „analoger“ und weist zusätzlich auch nicht den ausufernden Klangteppich am Liedende der späteren Albumversion auf.
—An dieser Stelle war der entsprechende Song über soundcloud in den Artikel eingebunden—
Die Demoversion von „Schwarzer Peter“ klingt noch etwas behäbiger. In der Albumversion kommt die Stimme von Judith Brigger im Chorus dazu, ebenso kommt eine Querflöte zum Einsatz, die im Demo noch „fehlt“. Im Chorus der Demoversion singt die Band Backgroundvocals.
+++UPDATE 08. April 2014+++
Nach ursprünglicher Zustimmung hat der Urheber der „Ihre Kinder“-Songs sein Ok für die Veröffentlichung wieder zurückgezogen, weshalb sie hier nicht mehr zu hören sind. Die Tracklist des Demobands sieht wie folgt aus:
Morgens*
Wo gehst Du hin?
Schwarzer Peter
Plastiki und Plastika
Kinderspiel
Schwarzer Engel
Was kann ich denn dafür?*
Madame
Denn er ließ sie einfach steh’n*
Die Da Du, der Flötenspieler
Wenn Liebe das ist
Der Clown
Wenn es sowas auch vielleicht nicht gibt*
Hallo Sie
Der kleine König
Mädchen
Schwarzer Peter (Alternativversion)
Die Da Du, der Flötenspieler (Alternativversion)
Blumenmädchen*
Kinderspiel (Alternativversion)
Wo gehst Du hin? (Alternativversion)
Morgens (Alternativversion)*
Hallo Sie (Alternativversion)
Der Jahrmarkt des Lebens*
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Mein Interview (hier geht es zum ersten Teil) mit Jan Loh, dem alle-mal-malen-Mann, dauert insgesamt eine gute Dreiviertelstunde. Der laute Kneipenbetrieb im Bonner Salvator macht es mir oft schwer den 82-Jährigen zu verstehen. Oft bringt er Sätze nicht ganz zu Ende oder diskutiert derartig leidenschaftlich, dass ich nicht immer ganz folgen kann. Da mein Aufnahmegerät mitläuft, kann ich aber im Nachinein im Zweifel noch einmal zurückspulen und so das Gespräch wirklichkeitsgetreu wiedergeben.
Jan Loh macht bei mir nicht nur eine „Gesichts-Charakter-Kurzdeutung“, sondern zeichnet auch mich und meine Freundin, die als Fotografin dabei ist und Bilder macht. Außerdem deutet er noch meine Handschrift. Weil es den Rahmen sprengen würde, taucht die Handschriftdeutung in diesem Blog-Artikel ebensowenig auf wie Gespräche, die ich mit Jan Loh bei ausgeschaltetem Aufnahmegerät geführt habe.
Einen dieser nichtaufgezeichneten Gesprächsfetzen möchte ich trotzdem kurz wiedergeben: Auf die Frage, was der alle-mal-malen-Mann in seiner Aktentasche Abend für Abend mit sich herumträgt, sagt er: „Da ist das wichtigste überhaupt drin! Wissen Sie was das ist?“. Natürlich weiß ich es nicht. Jan Loh freut sich und sagt nach einer kleinen Pause: „Luft! Da ist Luft drin!“.
Ich will Ihnen nicht zu nahe treten, aber Sie sind schon über 80…
…das steht in Wikipedia! Aber ja, das stimmt.
Andere Menschen in Ihrem Alter pflanzen vielleicht im Garten Salat an, Sie ziehen nächtelang durch die Kneipen und malen – warum tun Sie sich das eigentlich an?
Weil’s interessant ist! Ich kann ja auch dann morgens schlafen, es ist keine Arbeit – es ist eine kreative, schöne, interessante Betätigung! Ich kriege ja auch meine Bewegung dadurch. Und ich mache Menschen eine Freude. Da kommt viele zusammen.
Anderen Freude zu machen ist noch eine größere Freude, als Freude zu empfangen!
Wie ist das eigentlich, wenn Sie die Leute malen? Ich hab den Eindruck Sie machen die Preise spontan. Oder haben Sie eine feste Preisliste?
Nein! Erst mal: Preise hab ich überhaupt nicht. Das ist ein marktgemäßes Wert-Leistungsverhältnis. Ich hab so genannte „Symbolentgelte“. Können Sie sich vorstellen, was damit gemeint ist?
Das müssen Sie mir erklären!
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Volkswagen-Werk dem General Motors-Konzern für einen Dollar angeboten. Die haben aber abgelehnt, können sie nichts mit anfangen! Das ist ein Symbolentgelt. Dass man also Geld nimmt, damit nicht gesagt wird: Wir haben das umsonst geschenkt gekriegt.
Bonn besteht ja zum größeren Teil aus Schülern und Studenten. Und die können ja nur ganz wenig zahlen. Ich hab so Entgelte, wenn ich so ein Einzelportrait mache, von sagen wir mal: Fünf Euro. Wenn ich mehr Leute mal, dann vielleicht für einen Euro pro Person, bei vielleicht 10 Leuten. Je mehr Leute, umso billiger für den Einzelnen.
Bei Kindern mach ich’s auch manchmal umsonst. Wenn ich dann so situiertere Leute sehe, dann geh ich etwas hoch, aber nicht so viel. Man hat ja auch immer die Vergleichsmöglichkeit: Der macht das ja auch bei denen umsonst, bei mir ist es auf einmal mehr… Vielleicht so drei Euro bei drei Leuten pro Person.
Bei mir ist es ja auch schneller! Was bei anderen Stunden dauert, das mache ich in Minuten.
Woanders könnte ich vielleicht mehr verdienen, aber: Überraschender Weise hab ich ja so viele Fans, das Interesse ist so groß! Das spricht sich dann rum, dann lassen die sich immer wieder mal malen für ein paar Euro.
Wie viel Geld am Abend können Sie mit der Zeichnerei machen?
Ach, das ist auch immer so eine Sache: Manchmal mach ich so drei, vier, dann aber auch fünf, sechs Bilder am Abend, oder auch schon mal zehn am Wochenende.
Ja, nicht nur da! Wissen Sie was „original“ heißt? Original heißt ursprünglich. Und ursprünglich ist jeder. Jeder ist ein Original in dieser Hinsicht. Man nimmt aber oft so allgemeine Begriffe und wendet sie auf spezielle Fälle an, die an und für sich für jeden gelten! Jeder ist original und jeder ist auch schön auf seine Weise – wie ich schon sagte. Wir sind alle original.
Das ist ja auch teilweise schon wieder ein Lob: Oh, der ist ja originell, der schafft etwas neues! „Original“ ist so etwas abgegriffen oder steht so im Gefühlsansehen.
Loh-Portrait von meiner Freundin Bea und mir.
Aber Sie sind bei Wikipedia in dieser Kategorie drin und Sie sind das einzige noch lebende „Bonner Original“ dort – fühlt man sich da geschmeichelt oder ist Ihnen das egal?
Egal nun grade nicht. Es freut mich schon. Aber so stark tangiert mich das nicht. Ich kann ja auch nichts dafür! Das haben ja die anderen alle gemacht. Das halbe Internet ist voll von meinen Bildern! Ich hab kein einziges Bild selbst ins Internet gestellt.
Dann gab’s hier so unter den Studenten, zur StudiVZ-Zeit, an allen Universitäten Fan-Gruppen. Jetzt gibt’s ja fast nur noch facebook. Und ich weiß nicht wie die einzelnen Unis die Kurve gekriegt haben – in Bonn aber sehr gut. Vor zwei Monaten, das ist meine letzte Auskunft, gab’s da über fünftausend Fans (Anmerkung des Autors: Jan Loh meint die „Der alle-mal-malen-Mann“-Fanseite bei facebook, die ein Loh-Fan erstellt hat).
Dieses Echo überrascht mich eigentlich.
Dafür, dass Sie kein Fernsehen und kein Radio haben, sind Sie gut über facebook informiert…
Ja, ich frage immer. Ich komme ja selbst nicht ins Internet rein, weil ich nicht Mitglied dieser Organisation bin. Aber ich kriege schon Informationen.
Wie würden Sie ihren Zeichenstil oder Malstil beschreiben?
Ach, darüber hab ich mich auch noch nicht bemüht. Also ich zeichne möglichst was ich sehe. Und auch möglichst positiv, weil die meisten Leute mit Komplexen rumlaufen, sich nicht mögen. Dann soll man ihr Wertbewusstsein entwickeln. Es gibt an sich keine hässlichen Menschen! Es gibt nur außergewöhnliche…
Die meisten haben auch nicht die Kraft zur eigenen Persönlichkeit. Die meinen, je mehr sie angepasst sind, um so schöner, umso sicherer und dergleichen sind sie. Die bilden auch keinen eigenen Geschmack heraus und passen sich einfach an. Die allermeisten haben nur Modegeschmäcker und lassen sich nicht mal für einen Cent malen!
Sie bilden also das ab was Sie sehen, haben Sie gesagt…
Ich versuche das, ich bemühe mich darum! So ganz schaff ich das natürlich nicht.
Da gibt es diesen einen Kritikpunkt, der immer wieder auftaucht, dass Ihre Bilder alle gleich aussehen und sich die unterschiedlichen Personen nur durch äußere Merkmale wie Brillen oder Frisuren unterscheiden – was sagen Sie dazu?
„Die sehen ja alle gleich aus!“ Insofern ist das richtig, sagen wir mal „ähnlich“: Die Leute schauen bei mir alle fröhlich, sie freuen sich alle. Die Stimmung ist schon mal sehr ähnlich, das ist richtig. Und dann mal ich die Leute für gewöhnlich, wenn sie nicht grade an der Tischfront sitzen, so von der Seite – wie sie miteinander kommunizieren. Und das gibt auch wieder eine Fröhlichkeit und weil die Leute auch meist in einem ähnlichen Alter sind, ist dann auch die Verschiedenheit nicht so groß.
In der oberflächlichen Beurteilung sieht man so die Hauptsache, das Unwesentliche, die kleineren Teile, werden übersehen. Und wenn etwas ähnlich ist: Aha, das ist ja gleich! Wenn Sie zum Beispiel drei Mal einen aus Dortmund besoffen irgendwo sehen, sagen wir mal in Köln – was meinen Sie dann wie schnell es heißt: Die Dortmunder sind immer besoffen! Die Verallgemeinerung und die Reduktion des Gesamtbegriffes auf ein übliches Urteil.
Zum Beispiel das Gleiche ist ja viel einfacher zu denken als das Verschiedene. Das Verschiedene ist komplex. „Das ist ja alles das Selbe! Alles der selbe Scheiß!“ Wie schnell die Leute mit solchen Urteilen sind. Mit völlig vereinfachten, emotionalen Urteilen, ruck-zuck! Und daraus entsteht dann – und das erleb ich ja auch immer wieder: Die sehen ja alle gleich aus! Vor allen Dingen bei Neulingen.
Sie haben es vorhin selber gesagt: Ihre Bilder entstehen sehr schnell. Für ein Einzelportrait brauchen Sie meist nur fünf bis zehn Minuten…
Man kann an einem Bild Minuten malen, man kann Jahre malen. Die Mona Lisa kennen Sie ja. Da hat der Leonardo Da Vinci genauso lange dran gemalt wie Michelangelo an seiner ganzen Sixtinischen Kapelle. Man kann das ganze Leben malen, ganz fertig wird man nie.
Ich betrachte gar nichts als fertig! Ich mache das so, dass man das Wesentliche erkennen kann. Und dann auch zeitökonomisch. Je mehr Sie nun weiter arbeiten, desto relativ weniger schaffen Sie dann. Je mehr man in die Einzelheiten geht, je mehr Energie man auf die Einzelheiten verwendet, die auch teilweise wieder vom Wesentlichen ablenken können, desto weniger schafft man aufs Ganze gesehen.
Jetzt haben sie ja viele kleine Kunstwerke geschaffen…
Ja das sag ich auch nie, Kunstwerke! Höchstens mal so im saloppen Zusammenhang. Wenn ich kein anderes Wort zur Verfügung habe oder es in die Stimmung passt. Aber dann auch so ein bisschen zum Spaß.
Sagen wir’s mal mit Ihren Worten: Sie haben vielen Freude gemacht mit ihren Werken…
Sagen wir mal: Bilder!
…wie möchten Sie einmal in Erinnerung bleiben?
Ach ja… Das bestimme ich ja nicht. Das ist auch nicht so wichtig. Die Erinnerung, also die Kenntnisnahme, ist ja im ganzen nicht schlecht. Das wird wahrscheinlich auch so bleiben. Man verbessert sich ja auch ständig. Man lernt bewusst, mal unbewusst, was neues. Man kann immer Besseres immer schneller, immer kommunikativer darstellen. Und das ist auch eine besondere Freude, wenn man merkt, dass man immer besser wird. Ganz von selbst. Wieder ein gutes Ding, was von selbst kommt und nix kostet!
Was lernen Sie denn noch dazu?
Ach, man lernt schneller die Gesamtheit der Leute zu erfassen. Den Ausdruck, die Form. Inhalt, Stimmung und Form eines Gesichtes. Und man lernt wie unendlich reichhaltig ein Gesicht ist. Man lernt auch über das, was man unmittelbar sieht, hinauszusehen. Auch viel verschiedene Sehweisen: Zu sehen, wahrzunehmen und zu deuten. Man hat mal das menschliche Gesicht als die Interessanteste Fläche des Universums definiert – das ist gar nicht so unrichtig.
Haben Sie eigentlich eine feste Route, die Sie Abends durch Bonn nehmen, wenn Sie zeichnen?
Ja, blöder Weise ja. Was mich überrascht ist eigentlich, dass das hält: In etlichen Gaststätten gibt’s Leute, die lassen sich immer wieder malen. Während in anderen Gaststätten wieder weniger – woran das nun im einzelnen liegt, das ist schwer zu sagen.
Wenn die Gaststätte zu voll ist, ist das auch nicht so günstig. Zu leer wieder auch nicht, aber je weniger da sind, umso größer die positive Einstellung. Wenn einer da sitzt, ist die Chance größer bei dem einzelnen anzukommen, als wenn mehrere da sitzen und dann bei jedem einzelnen anzukommen. Das richtige Verhältnis von Fülle und Leere, von Jungen und Alten – das hängt von so vielen Faktoren ab!
Gibt es irgendwelche Läden, in die Sie nicht reingehen würden?
Einige wollen es nicht. Einige sind dagegen.
Sind Sie schon mal rausgeschmissen worden?
Ne, rausgeschmissen worden nicht. Aber es wird schon mal gesagt: Das wird nicht gerne gesehen, die Leute wollen nicht gestört werden. In Köln käme man praktisch in jede Kneipe rein! In Bonn sind einige reservierter. Woran das nun liegt? Der Kölner ist insgesamt aufgeschlossener. Aber der Gesamtabsatz ist auch nicht höher in Köln als hier. Aber auf Grund der Gesamtverhältnisse in Bonn mit diesen Fans, arbeite ich lieber in Bonn.
Es ist schon nett in Bonn zu arbeiten! Wer sich nicht von mir malen lässt, ist weder ein Bonner, noch ein Rheinländer, heißt es. Oder einige, die von Bonn wegziehen, sagen zu mir: Sie sind für mich Bonn! Die wollen von mir ein Autogramm haben und sagen: Nichts erinnert mich so sehr an Bonn, wie Sie!
Fast jeder, der in Bonn Abends schon einmal in einer Kneipe war, kennt den kauzigen alten Mann mit dem widerspenstigen weißen Haar. Plötzlich taucht er am Tisch auf und fragt: „Alle mal malen hier?“
Jan Loh, 82 Jahre alt, ist ein Kneipenphantom und laut Wikipedia das einzige noch lebende Bonner Original. Für ein paar Euro fertigt er Bleistiftzeichnungen für Trinkgesellschaften an. Außerdem bietet er Deutungen von Gesicht und Handschrift. Bei Menschen, die ihn nicht kennen, stößt er mit seinem charmant hingenuschelten Angeboten oft auf Ablehnung.
Bei seinen Fans genießt der „Alle-mal-malen-Mann“ hingegen Kultstatus. Seine Fanseite bei facebook hat aktuell fast so viele „likes“ wie die der ortsansässigen Lokalzeitung, ehemals Haupstadtzeitung, die jetzt in ihrer Printausgabe immerhin noch eine Auflage von fast 80.000 Exemplaren erreicht. In der Altstadt Bonns ist sein Gesicht als Graffito in die Streetart eingegangen, „alle-mal-malen-Mann“-Bilder werden von einer eigenen Fanseite gesammelt.
Neulich saß ich mit ein paar guten Freunden in einer Bonner Kneipe (siehe oben). Als der „alle-mal-malen-Mann“ an unseren Tisch kam, wurde mir blitzartig klar: Dieser Mann muss uns zeichnen! Denn wir alle werden Jan Loh vermutlich erst dann zu würdigen wissen, wenn er einmal nicht mehr an unserem Tisch auftaucht.
Also habe ich mir von einem weiteren Bonner Original und Kneipenphantom die Handynummer von Jan Loh organisiert und ihn zu einem Interview eingeladen.
Normaler Weise unterhalte ich mich für Radiobeiträge vor einem laufenden Mikrofon nur kurz mit Interviewpartnern, da ein solcher Radiobeitrag meist nur eine Minute und dreißig Sekunden lang ist.
Für Jan Loh, der weder Radio noch Fernsehen hat, habe ich mir aber bewusst viel Zeit genommen. Ich hatte keine Eile, wollte mehr erfahren und habe mich dazu entschlossen den „alle-mal-malen-Mann“ ausreden zu lassen.
Hier ist Teil eins des Gesprächs mit einem Bonner Original und Kneipenphilosoph:
Die erste Frage ist direkt etwas philosophisch: Herr Loh – sind Sie ein Künstler?
Also ich definiere mich nicht. Die deutsche Sprache ist voller allgemeinen Begriffe, zum Beispiel „Kitsch“ und „Kunst“. Der Kitschbegriff ist einmalig in Deutschland, den haben sogar die Franzosen übernommen: „Le kitsch“. Die Amerikaner auch.
Kaum einer kann definieren, was ein Künstler eigentlich ist und was man darunter versteht. Also ich nenne mich nie „Künstler“. Vielleicht hin und wieder mal, wenn es nicht anders zu verdeutlichen ist.
Besser ist Bildermaler oder Zeichner!
…Stadtmaler habe ich mal gelesen…
Naja, es gibt so verschiedene Bezeichnungen. Es gibt so viel Spekulation darüber… Ob ich Künstler bin haben Sie gefragt?
Das ist noch schwerer zu beantworten, als ob man sich Künstler nennen darf. Das geht schon über die Philosophie hinaus.
Das kann ich nicht beantworten, da kann sich jeder einen eigenen Begriff von bilden, der mich ein bisschen kennt. Oder er kann es auch sein lassen! Es kommt nicht auf die Klassifizierung und ein Wort an, sondern dass man eben das erlebt, was man sieht oder denkt und dergleichen.
Sie sind ja wegen ihres Spruchs als der „Alle-mal-malen-Mann“ bekannt – müsste es nicht eigentlich heißen „alle mal zeichnen“?
Nein, haben sie schon mal von einer Pinselzeichnung gehört? Man kann mit einem Pinsel zeichnen und mit einem Stift malen. Es kommt nicht auf das Instrument an, sondern auf die Machart. Malen ist mehr wenn man dabei schattiert, wenn man über die Linie hinausgeht. Zeichnung ist meist nur linear – das ist die überwiegende Betrachtungsweise. Jetzt kann jeder sich seine eigene Meinung bilden. Was ich mache ist eine Kombination aus zeichnen und malen. Ich schattiere also mehr als ich Linien darstelle. Mit Bleistift kann man ja beides: Einerseits spitz, andererseits schräg halten, dann kann man Schatten nachziehen.
Ich habe gelesen – und korrigieren Sie mich, wenn ich falsch liege – dass sie keine künstlerische Ausbildung genossen haben – wie sind Sie denn zum Zeichnen oder Malen gekommen?
Ein künstlerische Ausbildung oder Bildung bekommt man nicht nur an den üblichen Schulen. Kreativität lernen Sie nur für sich selbst und aus sich selbst heraus!
Aber durch die Kneipen ziehen Sie vermutlich noch nicht so lange…
Nein, nein! Das tue ich etwa so seit gut zehn Jahren. Die Bilder hätte ich weitgehend auch schon mit zwölf Jahren malen können – allerdings nicht so schnell und dann auch mit Unterbrechungen immer wieder. Und man zeichnet ja…
Die Bedienung bringt Jan Loh einen Kaffee, er schüttet sich gemächlich drei Tüten Zucker hinein.
…man zeichnet und malt ja dauernd. Beethoven: Der hat ständig bewusst und unbewusst komponiert und längst nicht alles aufgeschrieben, was er komponiert hat. Man kann ja nur einen ganz kleinen Bruchteil von dem, was man in sich gefunden hat, darstellen. Und dazu brauchen Sie keine Schule an sich. Ein so genannter Künstler, der schafft immer aus sich selbst heraus.
Dann sind Sie ein Künstler!
Nein, jetzt lassen Sie den Ausdruck mal ganz weg. Ich sage nur: „der Künstler“. Ob ich das bin – die Frage kann ich nicht beantworten. Das interessiert mich auch nicht! Wir sind ja alle so Gesellschaftswesen: Die Leute haben ja kaum einen eigenen Kunstgeschmack und haben nur angepasste Modegeschmäcker. In der überwiegenden Zahl, jedenfalls die Erwachsenen. Hier muss man unbedingt dünn sein. Wenn man nicht dünn ist, ist man hässlich. In arabischen Ländern genau umgekehrt! Da muss man dick sein!
Kennt ihr die Geschichte von des Kaisers neuen Kleidern? Die sagt alles, nicht? Der Kaiser sagt: Ich komme mit Kleidern. Jetzt sehen die Leute nicht, sondern glauben was der Kaiser sagt. Die haben überhaupt keinen eigenen Eindruck, sind also nur Vasalllenwesen, die nur aufnehmen, aber gar nicht selbst empfinden und beurteilen können (dabei schlägt er rhythmisch mit der Faust auf den Tisch). Politisch ist das hoch gefährlich! Alles latscht in den Massentod, in die Katastrophe. Die Kinder denken ursprünglicher und sagen: Der ist doch nackt!
Man verlernt also das Ursprüngliche, sein eigenes Wesen, zu Gunsten der gesellschaftlichen Anpassung.
Da sind wir ja auch schnell beim Schönheitsbegriff. Wenn Sie Leute malen sagen Sie ja gerne: „Du brauchst nicht posieren, sei ganz natürlich!“ und: „Du bist schön so!“…
(lacht) Nein, das sag ich so nicht. Ich mache viel Jux dabei. Wenn die Leute ganz ablehnend sind sage ich: So hässlich seid ihr doch gar nicht! Aber die meisten lassen sich nicht mal für einen Cent malen, weil sie eben den Modegeschmack haben und auf Grund dessen meinen, sie entsprechen der Mode nicht und sind deshalb hässlich und laufen das ganze Leben mit Komplexen rum.
Und davon will ich sie halt befreien. Ich sage: Es gibt nur schöne Menschen. Und schöne Geschmäcker. Jeder ist schön auf seine Weise. Herrgott oder Natur – je nach Auffassung – machen wunderschöne Menschen und einen Verneinung der eigenen Schönheit ist eine Beleidigung der eigenen selbst und des Schöpfers auch. Das wird theoretisch zugegeben, aber in der Praxis…
Wir sind da ja auch widersprüchlich. Auch bei Umfragen: Da wird gesagt, was man für richtig hält und man tut dann oft genau das Gegenteil. Man tut dann das Modeangepasste, sagt dann aber was vernünftig scheint und merkt oft gar nicht die Differenz davon. Daran sind schon so viele Umfragen gescheitert!
Jetzt haben wir viel philosophiert, lassen Sie uns praktisch über ihre Arbeit reden: Wie sieht ihr typischer Arbeitstag aus, wenn Sie zeichnen?
Naja, ich fange so gegen halb acht an und dann mach ich so meinen Spaziergang durch die Lokale. Und was dann anfällt – das ist sehr verschieden. Das hängt vom Wetter ab, von den Launen… Das lässt sich gar nicht so genau begründen, das können auch die Geschäftsleute nicht, warum die Leute sich so oder so verhalten und dann wieder genau gegenteilig – unter ähnlichen Umständen sogar. Und das Verhalten schafft auch seine Widersprüche. Das kann man gar nicht im einzelnen so beurteilen, weil das viel zu komplex ist.
Ich mach dann meinen Spaziergang und frage dann auch. Ich mach auch Jux dabei dann. Manchmal werde ich sehr ernst aufgefasst, dann mach ich sofort einen Rückzieher. Aber ich hab mich noch nie entschuldigen müssen. Auf jeden Fall ist das sehr interessant.
Und wenn ich gemalt hab, dann biete ich auch diese Charakterdeutung an. Am Anfang muss man das erst erklären. Die kommen, wenn sie gemacht sind, auch besser an als die Bilder.
Was lesen Sie aus meinem Gesicht?
Ja, da kann man ja mal eine Gesichts-Charakter-Kurzdeutung machen.
(Loh deutet auf seinen Kaffee)
Ich mach mir mal eben noch Milch rein. Wie lang haben Sie Zeit?
Ich habe genug Zeit…
Dann muss ich ja erst ne kleine Vorrede zu halten.
(Jan Loh nestelt an den winzigen Kaffesahne-Päckchen herum)
Mehrere Tassen Kaffee wirken wie Doping – wer sagt das wohl?
(Es entsteht eine Pause)
Der Beckenbauer!
(Er schüttet sich Milch ein)
Da ist ja sogar ein Keks dabei!
Also ich hab weder Radio noch Fernsehen. Hab ich auch nie gehabt. Ich hatte mal ein Radio vor 50 Jahren, hab ich aber nach zwei Wochen wieder rausgeschmissen.
Wo kann man diese Sendung denn hören eventuell?
Ohne Radio wird’s schwierig!
(Er betrachtet seinen Kaffee)
Ach, das ist ja ein Glas. Da ist ja noch nicht mal ein Henkel dran! Das ist ja heiß!
(Er wickelt eine Serviette um die Glastasse)
Naja, geht noch.
Was ist das denn hier?
(Er betrachtet den Löffel)
In Deutschland muss man die Löffel oft noch nachputzen! In Entwicklungsländern, China – piek sauber, aber da kann schon mal was an der Erde liegen. Eine falsche Sauberkeitsordnung in mancher Hinsicht.
Darf ich mal fragen, was Sie beruflich gemacht haben, bevor sie „Stadtmaler“ wurden?
Ich hab hier, als die Regierung noch da war, Informationen über Entwicklungshilfe und Entwicklungsländer gegeben. Für alles was sich in Deutschland mit Entwicklungshilfe beschäftigte – aber so in Stundenarbeit. Über 30 Jahre, ohne auch nur einen Tag blau zu machen! War hochinteressant! So Informationsjobs sind die interessantesten, da können Sie auch viel bei lernen.
Waren Sie da auch selber im Ausland?
Nein, nur privat. Ich war hier. Die brauchten ständig Informationen. Alle Regierungs- und privaten Institutionen – aktuelle Informationen.
Das wurde dann archiviert, in Informationsmappen zusammengefasst für Entwicklungsländer und so… Naja, das hab ich dann gemacht! Das war jeden Tag was neues, immer interessant.
Wollen wir wieder zurückkommen auf die Gesichtsanalyse?
Ich muss aber eine kleine Vorrede halten! Sie nennen das vielleicht Analyse, haben Sie gesagt? Wissen Sie was Analyse heißt? Früher wusste das fast jeder, da konnte man noch Fremdsprachen. Heute schmeißen alle mit dem Wort rum und keiner weiß: Analyse kommt aus dem Griechischem und heißt „zerlegen“! Wenn Sie Ihr Auto zerlegen und liegen lassen, dann sagt jeder wohl mit Recht: Der hat sie nicht mehr alle!
Dazu braucht es den Ergänzungsbergriff zur Analyse. Können Sie sich darunter was vorstellen? Das ist das Zusammensetzen. Betrachten oder untersuchen heißt auseinander nehmen, die Details betrachten, beurteilen und dann nach Regeln – sagen wir mal der Therapie oder Reparatur – wieder zusammensetzen.
Im deutschen Wort „Deutung“ ist das drin. Aber wir sind ja so fremdwortvernarrt! Der griechische Ausdruck für das Wiederzusammensetzen ist die „Synthese“. Das müsste also „Analy-Synthese“ heißen, „Auseinandernehmen-Wiederzusammensetzen“. Die Begriffe mit „Analyse“ greifen alle zu kurz, auch „Psychoanalyse“! Man bleibt bei den Einzelheiten stehen, basta! Man verallgemeinert dann einen Gesamtbegriff und das kann natürlich nicht stimmen.
Ok, dann nehmen Sie mein Gesicht mal auseinander!
Nein, nein, nein! Ich sage, was ich sehe – aber die Faust am Gesicht kann ich dabei gar nicht gebrauchen!
(Ich entferne meine Hand, auf die ich meinen Kopf gestützt hatte, aus meinem Gesicht)
Aber ich wollte ja eine kleine Vorrede halten, die für alle diese Deutungen gilt: Wir sind alle gegensätzlich.
(Zu meiner Freundin gewandt, die als Fotografin dabei ist)
Du sagst ob das richtig ist – Frauen haben ja so einen Richtigkeitsinstinkt.
Nicht? Wir sind alle gegensätzlich: Wir ruhen mal, dann bewegen wir uns, dann haben wir Hunger, dann sind wir gesättigt. Die Chinesen sagen Jing/Jang – schon mal gehört, wahrscheinlich?
Die Gegensätze erzeugen sich auch: Zum Beispiel die Bewegung macht Müde und erzeugt Ruhe. Ruhe bündelt wieder Kräfte und erzeugt Bewegung. Ja, damit können wir mal anfangen:
(Loh betrachtet mein Gesicht)
Ja, Sie sind temperamentvoll. Ich sage mal: Jedes Gesicht ist unendlich ausdrucksreich, ändert sich ständig. Wir können jetzt das ganze Leben deuten, fertig werden wir dennoch nicht.
Und jeder Mensch hat auch alle menschlichen Eigenschaften.
Ich sag jetzt nur etwas besonders auffallendes, so 20 Eigenschaften zum Beispiel.
Sie haben die Lippen aufeinander – dann denken Sie automatisch mit dem Vorderhirn. Die planmäßige Intelligenz sitzt vorwiegend hier. Wenn Sie ein Problem durchdenken, arbeiten Sie hier mit. Vieles kriegen Sie aber nicht raus – am nächsten Tag fällt Ihnen aber was ein! Einfälle hat man meist – da gibt’s auch Untersuchungen zu – nach der zweiten Wiedergeburt, nach dem Wachwerden am Morgen.
Die hat man meist nach dem Wachwerden. Morgens, bei Spaziergängen. Viele große Geister wie Beethoven oder auch Zuckmayer sagte: Die besten Ideen hab ich bei Spaziergängen. Auf dem stillen Örtchen und so weiter!
(Er zeigt auf meine Stirn)
Also wenn Sie ein Problem durchdenken arbeiten sie meistens hiermit.
Sie kriegen dann längst nicht alles raus und am nächsten Tag, oft wenn man gar nicht dran denkt, oder sonst irgendwann im Urlaub, hat man plötzlich Einfälle. Die Einfalls- oder intuitive Intelligenz.
Können Sie sich darunter was vorstellen? Intuition heißt „die Eingebung, die von selber kommt“. So ähnlich wie der Einfall.
Sie können sich sicher erinnern, plötzlich mal einen Einfall gehabt zu haben, ohne drüber nachzudenken – oder grade weil Sie nicht drüber nachgedacht haben. Aus dem Gegensatz heraus. Wenn die Gehirnpartien lange geruht haben, dann werden Sie oft umso aktiver! Wenn Sie lange nachgedacht haben, dann ist das Gehirn manchmal etwas erschöpft. Dann haben Sie nicht so viele Einfälle.
Das richtige Verhältnis von Aktivität und Freiheit herauszufinden, das liegt bei dem Einzelnen. Jeder ist da verschieden.
Die Psychologen nennen es auch das Aha-Erlebnis. Man will eine Lösung finden, strengt sich an – aber auf einmal ist es da, zack!
Die besten Dinge im Leben kommen oft von selbst und sind gratis.
Ist eine schöne Philosophie, finde ich!
Jaja, so ist es auch! Stimmt ja auch obendrein noch.
Sie sitzen auch ruhig und: Fingerbewegungen! Zwischen Hirn und Hand und Hirn und Füßen bestehen enge Verbindungen. Das waren vermutlich auch die Bewegungs- und Tastorgane im Urwald. Wenn etwas passierte, da an Fingern und Füßen, musste das schnell im Gehirn gemeldet werden. Das Gehirn entschied und diese Organe mussten schnell reagieren darauf. Man spricht ja auch vom Fingerspitzengefühl, oder „Fingerschmerzen gehen zu Herzen“. Oder in der Akupunktur: Da spielen die Hände, die Finger eine große Rolle. Sie können über die Fingerspitzen praktisch alle Schmerzen abreagieren. Ist allerdings ein bisschen komplex, aber umso interessanter!
Ich fand das schon sehr aufschlussreich…
Ja, aber wir sind ja noch längst nicht fertig. Das war ja jetzt das Minimum vom Minimum vom Minimum… Aber gehen Sie mal weiter mit Ihren Fragen.
In einem schwarzen Fotoalbum mit ’nem silbernen Knopf.
Bewahr ich alle diese Bilder im Kopf.
Ich weiß noch damals, als ich jung und wild war im Block.
Ich bewahr mir diese Bilder im Kopf.
Sido. War das nicht dieser Typ mit dem Arschficksong? Dieser Typ mit der Maske, der den Weihnachtsmann kalt machen wollte? War das nicht früher mal dieser Typ, den wir beim Radio mit unserem „best(getestet)en Mix“ nie, aber auch wirklich nie gespielt hätten, aus Angst unsere Hörer könnten vorzeitig ableben?
Verrückte Welt: Plötzlich läuft Sido auch „in Ihrem Lokalradio“ und alle nicken sie mit. Es gibt nur zwei Erklärungen für dieses Wunder:
Rap/Hip-Hop ist gesellschaftsfähig geworden.
Sido ist gesellschaftfähig ein langweiliger Spießer geworden.
Wahrscheinlich liegt die Wahrheit irgendwo in der Mitte. Fakt ist: Sido, 32 und mit bürgerlichem Namen Paul Hartmut Würdig geheißen, ist mittlerweile verheiratet und hat ein Kind. Und immer nur den postpubertären Großstadtrüpel zu geben wird ja auf Dauer auch irgendwie langweilig.
Seltsamer Weise sind mir aus meinem Nebenfachstudium der Germanistik ( = Bücher lesen und drüber quatschen) ein paar Sätze im Gedächtnis geblieben. Sie stammen von Georg Philipp Friedrich Freiherr von Hardenberg, der ähnlich wie Sido einen etwas kürzeren Künstlernamen bevorzugte: Novalis. Die Sätze gehen – frei kombiniert – jedenfalls so:
Vielleicht lieben wir alle in gewissen Jahren Revolutionen […] Aber diese Jahre gehen bei den meisten vorüber.
Mit der Verheiratung ändert sich das System. Der Verheiratete verlangt Ordnung, Sicherheit und Ruhe […] Er sucht eine echte Monarchie.
Spießig: Feste Freundin.
Da ist Oppa Sido nicht weit, wie er mit seiner verblichenen Maske in einer Wohneinrichtung für Senioren sitzt, lauwarme Jacobs Krönung durch die Dritten zieht, seine Stützstrümpfe zurechtrückt und sentimental durch sein Fotoalbum mit ’nem silbernen Knopf blättert: „Früher war alles besser, Kinder. Wir hatten ja nix!“
Ernsthaft: Sidos Bilder im Kopf (konserviert und archiviert, paraphiert und nummeriert) sind analog! Obwohl Sidos Album einen kecken Hashtag im Titel führt, ist es als Best-Of doch eine Retroperspektive. Heißt: Oppa erzählt vom Krieg.
Und auch ich find’s geil! Ja, wirklich: Mir gefällt der neue Sido. Musikalisch wie inhaltlich. Da zieht jemand Zwischenbilanz und ist im Großen und Ganzen zufrieden mit sich.
Auch ich bekenne mich öffentlich zum Spießertum! Ich lebe in einer festen Beziehung, koche gerne, mag Gesellschaftsspiele und fühle mich mittlerweile auf WG-Feten deutlich wohler als in Discos/Clubs.
Ernsthaft: Hab nie verstanden, warum ausgerechnet die Disco ein Ort sein soll, an den man Menschen kennen lernen kann…
Danke Sido, dass ausgerechnet Du jetzt der Botschafter für Werte und Spießigkeit bist! Der Airplay-Einsatz im so genannten „Dudelfunk“ erhebt Dich auf eine Stufe mit Reihenhaus, Volvo und Schrebergarten und zeigt auch, dass die Zeit vorbei ist, in der man mit Rap noch provozieren konnte. Gangsta-Rap ist tot, die Fans von einst ziehen ihre Hosen hoch und gründen Familien (in diesem Falle ziehen sie die Hosen wohl noch mal kurz runter) oder erleben schon die erste Scheidung.
Ich erkenne mich in Dir wieder Sido – und find’s gar nicht mal schlimm.