Wir schreiben das Jahr 2013. Deutschland, Bildungsstandort und eine der erfolgreichsten Industrienationen der Welt, steht kurz vor der Bundestagswahl. Und was sind die entscheidenden Themen des Wahlkampfes? Schlandkette, Stinkefinger und Veggie-Day. Wobei: Für die Idee des Veggie-Day bin ich den Grünen echt dankbar, auch wenn sie sich selbst damit keinen Gefallen getan haben. Trotzdem hat die Partei damit einen Veränderung in den Essgewohnheiten mancher Menschen aufgegriffen, die zumindest schon in den Städten der Republik spürbar ist. Zumindest stelle ich fest: In meinem Freundeskreis nimmt die Anzahl derer zu, die sich über ihre Ernährung Gedanken machen.
Außerdem bin auch ich direkt „betroffen“: Meine Freundin hat nach dem letzten Urlaub auf Texel, dem Eiland der kulleräugig-knuffeligen Lämmlein, ihren Fleischkonsum aus Mitleid gegenüber den Tieren weitestgehend eingestellt, „was mich auch zu so ’ner Art Vegetarier macht.“ Das Ganze war allerdings ein schleichender Prozess. Ich denke einen gewissen Anteil an ihrer Entscheidung hatte auch ein befreundetes Pärchen, das nicht nur vegetarisch, sondern vegan lebt – also nicht nur kein Fleisch isst, sondern auch all das, was vom Tier kommt, wie Butter, Eier, Milch, tierisches Fett oder Sahne, ablehnt.
An dieser Stelle möchte ich – möglichst frühzeitig in diesem Artikel – Farbe bekennen, damit mich Vegetarier schon mal mit Eiern bewerfen können (Veganer greifen bitte zur Wahrung der Glaubwürdigkeit auf die Variante „faules Gemüse“ zurück): Ja, ich esse Fleisch. Wegen des Geschmacks. Ich mag Fleisch. Und: Mir ist klar, dass für das Fleisch auf meinem Teller ein Tier sterben musste.
Mit dieser letzten Erkenntnis unterscheide ich mich allerdings nach einer nicht repräsentativen Erhebung meinerseits, die lediglich auf meinem Buchgefühl und nix anderem beruht, von 94,3 Prozent der Fleischfans um mich herum. Denn wir leben tatsächlich in einer Gesellschaft, in der das unkritische Verputzen großer Mengen Fleisch soziale Norm ist. Das stelle ich wertfrei fest, denn zu einem gewissen Teil haben sich unsere Großeltern das Recht auf einen reich gedeckten Tisch in Wirtschaftswunderland ja auch redlich verdient, nachdem sie unser schönes Deutschland erst eigenhändig abgerissen und anschließend unter Entbehrungen wieder aufgebaut hatten.
Schlagt einen beliebigen Prospekt eines Discounters eures Misstrauens auf: Die Chancen, dass sich darin eine Doppelseite mit Wurst- und Fleischwaren aus der Aktionstheke findet, in der optisch die Farbe Rot dominiert, sind exorbitant hoch. Auch ich als Fleischbefürworter muss gestehen: Wirklich ansprechend lässt sich rohes Fleisch nicht fotografieren, egal wie viele Kräuter und Gemüse man danebenlegt.
Ich persönlich habe fränkische Wurzeln und bin mit der fränkischen Wurstvielfalt und der fleischlastigen Küche der Franken und Bayern bestens vertraut. Aber wenigstens erkennt man bei denen Fleisch noch als das, was es ja nun mal letztendlich ist: Geschlachtetes Tier. Wirft man noch einmal einen Blick in besagten Prospekt des Discounters, findet man auch viele Produkte, die Fleisch sind, sich aber alle Mühe geben, nicht als solches erkannt zu werden. Ich glaube, dass tatsächliche viele meiner Freunde gar nicht mehr merken, dass sie sich schon morgens häufig Fleischprodukte aufs Brot legen oder streichen. But don’t call it a Schnitzel!
Auf spiegel.de habe ich mal ein interessantes Interview mit einer amerikanischen Sozialpsychologin gelesen, in dem sie das System hinter dem täglichen Fleischkonsum als eine „gewalttätige Ideologie“ bezeichnet und es „Karnismus“ nennt. Mir persönlich sind diese Ansichten zu radikal. Dass tägliches Fleischessen eine soziale Norm ist, die nicht nur nicht hinterfragt, sondern auch verbissen verteidigt wird, habe ich allerdings selber schon mehrfach festgestellt. Zuletzt als meine Freundin in einem thüringer Restaurant mit eigener Schlachterei vergeblich ein warmes Essen ohne Fleisch auf der Karte suchte und dann ein „Bauernfrühstück“ ohne Speck zu bestellen versuchte. Reaktion der Kellnerin: Nach ungläubigem Glotzen, die herrlichen Worte: „Mal gucken, ob das klappt…“ Eigentlich hätte man ihr hier aufmunternd die Hand auf den Arm legen, ihr dabei tief in die Augen schauen und entgegnen sollen: „Ja, das klappt schon. Ihr Koch muss nur beim Zubereiten der Kartoffeln vermeiden, Speck mit in die Pfanne zu hauen – ich bin sicher, dass er diesen Reflex mit ein wenig gutem Willen zu unterdrücken im Stande ist, wenn Sie es schaffen, diese Bestellung – genau wie gewünscht – aufzunehmen!“ Und was soll ich sagen? Oh Wunder, es hat selbst ohne diese Worte funktioniert.
Ein letztes Beispiel für gedankenlosen Fleischkonsum möchte ich aber noch anführen: Des Deutschen liebster Sport, das ur-männliche Grillen. Was sich da – auch in meinem Freundeskreis – an Schlachtabfällen fertig verpackt in neongelber oder -grüner Sauce auf den Rost gehauen wird, geht auf keine Kuhhaut. Unsachgemäß zerlegtes Tier, bestehend aus Sehnen und Fett, in Industriepampe ersäuft und für einen Kilopreis, der eigentlich nichts Gutes erahnen lässt, wird dann bis zur Unkenntlichkeit zergrillt, so dass das „Grillgut“ am Ende nur noch durch einen DNA-Test von der verwendeten Grillkohle unterschieden werden kann.
Spätestens hier kann man eigentlich nur Vegetarier werden, oder sich Gedanken über die Quanti- und vor allem Qualität des eigenes Fleischkonsums machen. Ich habe genau das getan. Wenn ich grille, ist das ein seltenes Ereignis. Das liegt zum einen daran, dass ich keinen Bock habe, den Rost zu schrubben und zum anderen basiert es auf meiner Überzeugung, dass nicht täglich Fleisch auf der Speisekarte stehen muss. Daraus habe ich zwei Schlüsse gezogen: Erstens habe ich mir einen nicht ganz günstigen Kugelgrill besorgt, denn ich liebe das Zubereiten von Speisen und möchte ein gutes Ergebnis erzielen (übrigens kann man da auch Gemüse drauf legen). Zweitens: Ich kaufe mir beim Schlachter ein teures Stück Fleisch, denn wenn ich mir schon eine seltene Freude hiermit mache, dann darf es auch etwas kosten. Ich möchte hier nicht die Diskussion aufmachen, ob Bio-Fleisch jetzt gut oder schlecht ist, aber wenn ich nicht dauernd das billigste Fleisch aus dem Supermarkt kaufe, unterstütze ich wenigstens nicht die Preistreiberei der Fleischindustrie. Denn ein ganzes Tiefkühlhuhn sollte meiner Meinung nach nicht billiger sein als eine Thunfischpizza.
Wofür ich also werbe ist ein bewussterer Umgang mit dem, was wir täglich in uns rein schaufeln. Welche Schlüsse ihr für euch dann daraus zieht, ist mir schnurzpiepegal. Ich möchte keinem ins Essen hineinreden – weder Fleischfans, Vegetariern oder Veganern. Trotzdem helfen – glaube ich – krasse Aktionen, wie die von Starkoch Jamie Oliver, als er live vor Publikum Küken vergast hat, dabei zu verstehen, woher unsere Nahrung eigentlich kommt. Der hohe Grad von Arbeitsteilung und Industriealisierung hat uns nämlich offenbar ganz schön weit von dem entfernt, was eigentlich neben Atmen unser erstes Grundbedürfnis ist: Essen und Trinken.
Daher danke ich den Grünen, dass sie den Veggie-Day-Shitstorm zum Preis einer heftigen Fleischwunde auf sich gezogen haben. Vielleicht wähl‘ ich aber auch die Schlandkette oder den Stinkefinger, mal schauen.
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