Die Entdeckung der Langsamkeit

1001 PS. Von Null auf Hundert in zweieinhalb Sekunden. Eine im Fahrzeugschein eingetragene Höchstgeschwindigkeit von 407 Stundenkilometern.

Erster Gedanke: Geil.

Zweiter Gedanke: Geil.

Dritter Gedanke: Was so ein Auto wohl kostet?

Vierter Gedanke: Ok, ganz schön teuer. Wer braucht sowas überhaupt?

Um es mal aufzulösen: Wir reden über das schnellste für den Straßenverkehr zugelassene Serienauto der Welt, den Bugatti Veyron 16.4. Rund zwei Millionen Euro – je nach Ausstattung – muss man allerdings für diesen feuchten Traum der Kraftstoffindustrie auf den Tisch legen. Das macht die ganze Sache für die meisten von uns schon deutlich weniger sexy.

Realistisch betrachtet braucht dieses Auto kein Mensch: In so gut wie jedem zivilisierten Land der Welt sind Reisegeschwindigkeiten von über 400 Stundenkilometern abseits der Schiene eher unrealistisch. Außer vielleicht in Afghanistan, dem Libanon, Nordkorea und auf der Isle of Man. Hier kennen die Eingeborenen nämlich kein generelles Tempolimit.

Bugatti
Der feuchte Traum der Kraftstoffindustrie: Der Bugatti Veyron 16.4 (© M 93)

Mit 400 Sachen auf dem Tacho unterwegs sein: Das kann man – und ihr ahnt es schon – auch in Deutschland. Zumindest auf manchen Autobahnen. Hier gilt zwar eine freundliche Empfehlung des Gesetzgebers, die so genannte „Richtgeschwindigkeit“ von 130 km/h. Dran halten muss sich aber niemand.

Warum aber ist das so? Warum kann man in Deutschland auf fast der Hälfte des Autobahnnetzes – immerhin also auf rund sechseinhalb Tausend Kilometern Länge – rasen wie ein Bekloppter? Und warum kann man genau das in allen anderen EU-Ländern und eigentlich auch an fast jedem anderen Fleck unseres großen Erdenrunds nicht?

Ich muss gestehen, dass ich mir diese Frage lange nicht gestellt habe. Schließlich ist man mit dem deutschen Ist-Zustand aufgewachsen und ihn schlichtweg gewohnt.

Trotzdem muss man selbst keinen 1000 PS-starken Supersportwagen in der Garage geparkt haben, um zu bemerken, dass die Höchstgeschwindigkeit des eigenen Fahrzeugs in kaum einem anderen Land (außer in Deutschland) erreicht werden darf.

Beim Urlaub in Schweden mit dem eigenen PKW: Höchstgeschwindigkeit: 120 km/h.

Beim Urlaub in den Niederlanden: 130 km/h.

Ich will hier jetzt gar nicht groß Statistiken mit Verkehrstoten rauskramen oder den Umweltaspekt bemühen, sondern da ansetzen, wo man denkende Menschen hoffentlich packen kann: Bei der Vernunft.

In beiden Urlaubsländern ist mir als deutscher Bleifuß nämlich aufgefallen, wie wunderbar entspannt es sich mit einer Tempo-Obergrenze von 120 oder 130 km/h fahren lässt:

Tempomat rein, Stress raus. Während ich auf unbegrenzten deutschen Autobahnen stets bemüht bin so schnell wie möglich vom Fleck zu kommen und jedes Mal fast das Lenkrad verschlucke, wenn bei Tempo 170 jemand von rechts mit Tempo 130 auf meine Spur zieht, ist der Straßenverkehr in Schweden oder Holland ein faires Spiel unter Gleichberechtigten: Niemand fährt deutlich schneller als der andere, der Verkehr plätschert friedlich vor sich hin, der Blutdruck bleibt auf WHO-Empfehlungslevel.

Tempolimit
Freundliche Empfehlung ohne Konsequenz: Die Richtgeschwindigkeit auf deutschen Autobahnen.

Positiver Nebeneffekt: Der Spritverbrauch ist in Ländern mit Tempolimit deutlich geringer! Das konnte ich ganz deutlich am Durchschnittsverbrauch meines Autos während und nach dem Urlaub ablesen. Eine Beobachtung, die übrigens auch der spiegel gemacht hat: Eine Teststrecke von 700 km wurde zwei mal gefahren. Einmal so schnell es ging und einmal mit Richtgeschwindigkeit. Ergebnis: Mit Bleifuß wurden 20 Liter mehr verblasen, die Zeitersparnis lag aber nur bei rund einer halben Stunde.

Ein Ergebnis, das besonders mit Blick auf die Preistafeln der Tankstellen überzeugt!

Objektiv betrachtet gibt es also keinen einzigen guten Grund, warum es auf deutschen Autobahnen weiterhin erlaubt sein sollte das Gaspedal bis zum Erdkern durchzudrücken.

Stellt man sich aber hierzulande öffentlich hin und tritt – vernünftiger Weise – für ein generelles Tempolimit ein, sticht man direkt ins Wespennest der Benzinjunkies und PS-besoffenen. „Freie Fahrt für freie Bürger!“ schallt es dann wie selbstverständlich, als hätte man verpasst, dass es offenbar ein Grundrecht auf Raserei gibt.

Lustiger Weise belächeln nicht selten genau die Menschen, die schnelles Autofahren für ein Bürgerrecht mit Verfassungsrang halten, das laxe Waffenrecht der USA. Dabei ist der Grad der Idiotie in beiden Ländern vergleichbar: Auf der einen Seite der schießwütige Amerikaner, der sich das Recht aufs Ballern nicht nehmen lassen will – und auf der anderen Seite der bleifüßige Deutsche, der schnelles Autofahren für einen Stützpfeiler der bürgerlichen Gesellschaft hält.

Die Autofahrerlobby ist dementsprechend in Deutschland ähnlich machtvoll und einflussreich wie die Waffenlobby der USA. Was dem Ami die National Rifle Association ist, ist dem Deutschen der Allgemeine Deutsche Automobil-Club. Ich selber bin übrigens seit meinem 18 Lebensjahr Mitglied des ADAC. Hier ebenso selbstverständlich wie der Umgang mit Schusswaffen in den USA.

Nun haben Schusswaffen allerdings gegenüber dem Automobil einen klaren Imagenachteil und vermutlich kommen durch Autos auch weniger Menschen ums Leben, als durch Knarren. Da aber trotz aller kranker Gewalttaten in Amerika ein generelles Waffenverbot immer noch so weit von der Realität entfernt ist wie der 1. FC Köln vom Gewinn der Champions League, mache ich mir erst recht keine Hoffnungen auf ein generelles Tempolimit auf deutschen Autobahnen.

Aber man wird ja mal träumen dürfen.


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