Bloß nicht in die Medien!

Beim Lokalradio zu arbeiten hat einen unschätzbaren Vorteil: Man kommt in direkten Kontakt mit dem, für den man den ganzen Quatsch macht. Man kommt in Kontakt mit der Zielgruppe, sprich: mit dem Hörer. Ich kann das behaupten, weil ich als „Freier“ auch schon für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk geschuftet habe. Und dort hält man – abgesehen von social media – den Hörer lieber auf Abstand. Hörernähe ist also eines der Pfunde, mit dem der Lokalfunk wuchert. Beim Lokalfunk kann man es als Anrufer noch schaffen, direkt zum Moderator ins Studio durchzukommen oder gar die ganze Redaktion auf einem gemeinsamen Wandertag zu treffen – bei den meisten „Öffies“ undenkbar!

Hörernähe hat natürlich seine Vor- und Nachteile. Manche Hörer glauben Dich zu kennen und lassen dann vielleicht die höfliche Distanz im Umgang miteinander vermissen, nur weil sie Dich ab und zu mal im in „ihrem“ Radio hören. Hörernähe kann aber auch den Vorteil haben, dass man sozusagen live beobachten kann, wie man selbst als „Medienmensch“ wahrgenommen wird. Auf was ich als Reporter auf Tuchfühlung mit der Zielgruppe zum Beispiel oft treffe, das ist der Hörer-Glaube an etwas, das ich mal als „Magie des Mediums“ bezeichnen möchte. Für den Medienkonsumenten hat offenbar alles was mit Funk- und Fernsehen zu tun hat einen gewissen Glamour, ja fast schon Sex-Appeal. Dieses Magische schließt auch die Vermutung mit ein, dass in den Medien viel zu verdienen wäre. Wer im Fernsehen ist, oder im Radio, der hat schließlich was zu sagen, ist irgendwie bekannt und muss deshalb auch viel verdienen. Logisch!

Ich kann aber an dieser Stelle aufklären: Bei dieser Annahme handelt es sich um einen Mythos. Ein Mythos, an dem wir Medienleute allerdings auch fleißig mitgestrickt haben, wenn wir zum Beispiel von unserem „Verkehrs-Studio“, unserer „Wetterredaktion“ oder von unserem/-er „Morgenteam/Morgencrew“ sprechen, die alle höchstens aus einer kleinen Hand voll Leute, meist sogar nur aus einer Person bestehen. Wir Medienmenschen haben nämlich einen Hang zur Übertreibung und zur Überhöhung unserer selbst. Die Leute wollen Lametta – wir geben ihnen Lametta.

Campusradio
Ich (rechts, voller Idealismus) war jung und brauchte kein Geld: Anfänge im Campusradio, vermutlich irgendwann 2006.

Vermutlich auch deshalb übt die Medienbranche trotz aller herbeigeredeten Krisen noch immer eine so ungeheure Anziehungskraft auf den potentiellen Nachwuchs aus, dass einem nur schwindelig werden kann. „Was mit Medien machen“ ist Berufswunsch und Mantra ganzer Heerscharen von Praktikanten geworden. Ich wage die nicht ganz unbergündete These, dass die meisten Medienhäuser, die nicht völlig in der Pampa liegen, einen derart hohen Durchlauf an Praktikanten haben, dass die meisten Redaktionsmitglieder längst aufgegeben haben, sich die Namen des ständig nachwuchernden Nachwuchses merken zu wollen.

Mir stellt sich die Frage: Warum drängen so viele junge Menschen mit einer derartigen Vehemenz in eine Branche, in der die Verdienstmöglichkeiten eher übersichtlich sind? Warum reißt der Strom derer einfach nicht ab, die auch völlig ohne Bezahlung freiwillig mehrere Monate ihres Lebens in den Irrenhäusern vieler Redaktionen verbringen? Wieso drängen diese oft gut ausgebildeten Leute nicht dorthin, wo Fachkräftemangel herrscht, sich die Chefs um den Nachwuchs kloppen und wo es tatsächlich Geld zu verdienen gibt? Warum wollen also alle „in die Medien“?

Es gibt nur zwei Antworten: Es ist entweder Leidenschaft oder Geltungssucht. Auf Kollegen zu treffen, die aus Leidenschaft viel Stress, Arbeit zu unmöglichen Zeiten und schlechte Bezahlung in Kauf nehmen, ist stets eine Freude. Auf Kollegen zu treffen, die nur aus Leidenschaft viel Stress, Arbeit zu unmöglichen Zeiten und schlechte Bezahlung in Kauf nehmen, ist aber eher die Ausnahme. Denn wir alle, die wir bei Funk- und Fernsehen arbeiten, tun dies auch, um im Rampenlicht zu stehen. Wir suchen die Öffentlichkeit – sonst hätten wir ja auch Leuchtturm-Wärter werden können.

Sendestudio
Da wollen alle hin: Hinter’s Mikro, oder am besten gleich vor die Kamera.

Trotzdem habe ich das Gefühl, dass diese „Magie des Mediums“ sich irgendwie selbstständig gemacht hat: Die, die Medien produzieren, setzen alles daran, dass dieser Mythos bei denen, die die Medien konsumieren, bestehen bleibt. Das hat scheinbar zur Folge, dass die Zahl derer, die etwas von diesem Glanz abkriegen wollen, auf einem konstant hohen Pegel bleibt. Eine Spirale des (Selbst-)Betrugs. Im schlimmsten Fall wächst da also eine Armee von Schaumschlägern und Wichtigtuern nach, die alle glauben der nächste Thomas Gottschalk zu sein und dann irgendwann feststellen, dass ihr Eldorado doch nicht aus Gold, sondern aus banaler Alltagsroutine, Stress und in der Regel bescheidener monetärer Entlohnung besteht.

Ich selber saß schon vor zahlreichen Mediencoaches und -dozenten, die alle ihren Job zu einem großen Teil der Tatsache zu verdanken haben, dass die Medien, die sie repräsentieren, eine derart hohe Strahlkraft haben, dass ihr Publikum (mich eingeschlossen) es für karrierefördern hielt, Geld für ihre vermeintliche Expertise auszugeben. Nur einer dieser Coaches hat jemals darauf hingewiesen, dass man mit Journalismus in der Regel nicht reich wird. Ihm möchte ich hiermit ein kleines Denkmal setzen und fordere gleichzeitig einen ehrlicheren Umgang mit den Verheißungen der Medienbranche.

Wer „was mit Medien machen“ möchte, sollte also wissen: Als Journalist winkt nicht automatisch die dicke Kohle und der VIP-Status! Geht bloß nicht in die Medien, wenn ihr damit eine Familie ernähren und vielleicht auch irgendwann mal eine Rente haben wollt! Wenn ihr es trotz dieser Warnung immer noch wollt, dann willkommen im Club. Willkommen in der wunderbaren Glitzerwelt des Medienzirkus!


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