Als ich von der Polizei hinter das Absperrband gebeten wurde, war die Lage am Bonner Hauptbahnhof noch unübersichtlich: Es hieß, eine verdächtige Tasche sei an Gleis 1 gefunden worden. Aus ihr hingen Drähte und man habe sie mit einer Wasserkanone „geöffnet“, was so viel heißt wie: völlig zerfetzt. Bevor ich den abgesperrten Gleisbereich betreten konnte, auf dem Experten des LKA bereits auf den Knien die winzigen Überreste des Tascheninhalts vom Boden auflasen, hatte ich noch in die laufende Sendung geschaltet. Die Kollegen von Print und Fernsehen waren bereits am Gleis, es galt ihren Wissensvorsprung aufzuholen.
Der war aber geringer als zuerst befürchtet: Es zeigte sich nämlich schnell, dass die Polizeizuständigkeiten vor Ort noch völlig ungeklärt waren und die Informationen deshalb eher träge flossen. Die Bundespolizei hatte noch das Sagen, schließlich ist sie für die Sicherheit an Bahnhöfen zuständig. Außerdem waren aber natürlich noch Polizisten aus Bonn, Sprengstoffexperten und Leute von der Spurensicherung vor Ort.
Ein Bundespolizist rief die Meute der Journalisten zusammen, um eine Erklärung abzugeben. Millisekunden nachdem er tief eingeatmet hatte, um den ersten Satz zu formulieren, nach dem die Pressemeute (mich eingeschlossen) lechzten, klingelte sein Handy. Er dürfe nun doch nichts sagen, teilte er uns mit, Polizei-Pressesprecher aus Köln seien aber unterwegs. Stattdessen trafen dann aber eine gefühlte Ewigkeit später zwei Pressemenschen der Kreispolizei aus Siegburg ein, um uns in Bonn über einen Fall zu informieren, dessen Handlung sich wenige Meter vor unserer Nase abspielte, der aber von den Kollegen aus Köln geleitet wurde (,die aber nie für mich erkennbar auftauchten).
Der langen Einleitung kurzer Sinn: Im gesamten weiteren Verlauf des Falles „Bombe am Bonner Bahnhof“ gingen die Zuständigkeiten der Ermittlungsbehörden durcheinander und die Informationspolitik war eher als dürftig zu bezeichnen. Um beispielsweise einen Telefon O-Ton von der Kölner Polizei zu bekommen musste ich mir fast schon ein Bein ausreißen. Gelohnt hatte sich die Mühe dann auch nur bedingt, weil es aus Köln nur hieß man ermittle „in alle Richtungen“. Auch von einer Pressekonferenz der Kölner Polizei erfuhren wir erst nur durch andere Medien. Nach einem Anruf in Köln bestätigte die Polizei aber den Termin und wir witzelten schon ob wir melden sollten: „Die Kölner Polizei gibt heute um 17 Uhr eine Pressekonferenz zur Bombe am Bonner Hauptbahnhof. Das bestätigte die Polizei auf Radio Bonn/Rhein-Sieg Nachfrage“.
Raum für allerlei Spekulation also und der erste, der diesen Mutmaßungsreigen eröffnete, war erwartungsgemäß die BILD-Zeitung. Sie war es, die unter Berufung auf „Sicherheitskreise“ (dieses Wort sollte auch noch bei ganz vielen anderen Medien auftauchen, wenn es darum ging eigene Spekulationen kund zu tun), als erste eine Verbindung zur so genannten „Bonner Salafistenszene“ herstellte. Nun muss man natürlich mit Enthüllungen der BILD erfahrungsgemäß immer etwas vorsichtig sein. Trotzdem sprangen alle Medien auf den Salafismus-Zug auf und als dann auch noch zwei mutmaßliche radikale Islamisten festgenommen wurden, schien die Sache klar.
Blöd nur, dass die beiden, die zweifelsohne einen radikal-islamischen Hintergrund haben, mit der Sache am Gleis 1 offenbar nichts zu tun hatten und wieder laufen gelassen werden mussten. Auch über die Gefährlichkeit der Bombe gab es lange Zeit wilde Spekulationen, weil die Polizei sich nicht einmal darauf festlegen wollte, ob es sich überhaupt um eine Bombe im eigentlichen Sinne handelte.
Die Polizei in Köln hatte inzwischen auch ein Phantombild eines Mannes veröffentlicht, der als Zeuge oder Tatbeteiligter in Frage kommt. Witziger Weise war bereits lange zuvor, noch am Gleis 1 des Bonner Hauptbahnhofs, einem Beamten der Bundespolizei herausgerutscht, dass wohl ein „Dunkelhäutiger“ mit der Tasche gesehen worden sein soll. Interessant, dass an manch wildem Gerücht oftmals auch ein Fünkchen Wahrheit dran zu sein scheint…
Insgesamt muss ich sagen, dass solch ein spektakulärer Fall mit glimpflichem Ausgang für einen kleinen Lokalradio-Mann natürlich ein Glücksfall ist: Bonn ist bundesweit in den Medien, was ja den Großstadt-Phantasien einiger im Örtchen entgegenkommen dürfte. Auf der anderen Seite ist das Schreck-Potential „Islamistischer Terrorismus in der Nachbarschaft“ natürlich irgendwie beunruhigend. Im von der Polizei veröffentlichen Video, das den vermeintlichen Bombenleger zeigt, wirkt es tatsächlich so, als trage der Mann einen langen Vollbart, der ungute Erinnerungen an den „Bonner Salafisten“ Murat K. wach ruft. Einblicke in die verquere Gedankenwelt eines ideologisch verblendeten Extremisten konnte ich nämlich bei dessen Prozess vor dem Bonner Landgericht mehr als genug bekommen. Murat K. hielt es nämlich für völlig ok mit einem langen Küchenmesser auf Polizisten einzustechen, wenn ein armseliger Haufen doofer Neonazis von seinem Versammlungsrecht Gebrauch macht und auf plumpste Art gezielt Moslems provoziert. Kaum vorzustellen, was so einer mit einer Bombe anrichten könnte.
Sollte sich wirklich herausstellen, dass der Bombenalarm am Hauptbahnhof auf die „Bonner Salafistenszene“ zurückgeht, dann hat die Region ein Problem und Bonn könnte sich wirklich auf unrühmliche Art und Weise landesweit einen Namen als Extremistenhochburg machen. Da dieser Fall aber wie gesagt eine ganz eigene Dynamik hat, bleibt im Moment alles Spekulation. Gut möglich, dass genau in diesem Moment schon weitere Details bekannt werden, die die Geschichte wieder in eine ganz andere Richtung weiterdrehen.
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