Schlagwort: Rap

  • Neues Dr. Dre Album: Früher war alles besser

    Ich bin aufgeregt. Zum ersten Mal seit Jahren. Eigentlich gehöre ich ja eher zu den emotional kontrollierten Menschen. Das Urteil „gar nicht mal so schlecht“ zählt zu den höchsten Stufen der Euphorie, zu denen ich mich aufschwingen kann. Auf Konzerten ist ein leichtes Kopfnicken meinerseits das Äquivalent zu einem wilden Pogo-Moshpit. Aber jetzt bin ich ein wenig kribbelig. Und es liegt an einer CD. Der Postmann hat sie grade in den vierten Stock zu mir hochtragen wollen. Aber ich bin ihm entgegen gegangen und habe sie auf Höhe von Stockwerk Nummer zwei entgegengenommen, weil ich wusste, was er mir bringt: Die neue CD von Dr. Dre.

    Wer sich mit Hip Hop oder besser: Gangsta Rap nicht auskennt, wird schwerlich verstehen können, warum ich mich darüber freue, dass ein 50-jähriger Milliardär ein Album rausbringt. Wahrscheinlich kennen die meisten Dr. Dre heute nur noch deshalb, weil er seine schnieken Kopfhörer erst an uns und dann an Apple verkauft hat. Was versetzt mich also jetzt so in Verzückung?

    Das Grabtuch von Turin

    Ganz einfach: Alben von Dr. Dre sind so etwas wie das Grabtuch von Turin. Sie sehen nur ganz selten das Licht der Welt und werden dann von ihren Anhängern umso mehr angebetet. Seit über 30 Jahren ist Dr. Dre in der Welt des Raps eine Größe, ja sogar eine Legende. Und das obwohl er bis zu diesem Zeitpunkt nur lächerliche zwei Soloalben heraus gebracht hat. Aber gerade darin liegt die Magie: Seine zwei Platten waren perfekt und Ikonen ihrer Zeit. 1992 war es „The Chronic“. Im Jahr 1999 das Album „2001“. Zwischendurch hat Dr. Dre Rapper wie Snoop Dogg(y Dogg), Xzibit, Eminem, 50 Cent (jaja, pleite), The Game und zuletzt Kendrick Lamar groß gemacht.

    Es gibt sie wirklich: Dr. Dres neue CD!
    Es gibt sie wirklich: Dr. Dres neue CD!

    Meine persönliche Verbindung zu den beiden Meisterwerken Dres ist folgende: Meine erste Erinnerung an ein Musikvideo ist Snoop Doggy Doggs „Who Am I (What’s My Name)„. In dem Video verwandeln sich alle zu Kötern und wieder zurück. Fand ich damals mit knapp 10 Jahren total cool und den Song irgendwie auch. Zwar galt die erste große Musikleidenschaft meiner Jugend dem Britpop rund um Oasis, Ende der 90er packte mich dann aber der Rap-Boom und ich verschrieb mich musikalisch jahrelang dem amerikanischen Hip Hop und entdeckte auch dessen Vergangenheit und somit Dres „The Chronic“ von 1992, auf dem übrigens ein gewisser Snoop Doggy Dogg zum ersten Mal als Rapper zu hören war.

    Dr. Dre, Rap-Gott

    Als 1999 Dres Album „2001“ rauskam, war dies die Krönung des Genres. Ich erinnere mich, dass ich Anfang der 2000er in einem Basketballcamp auf Schloss Hagerhof war, dessen Highlight die Anwesenheit von Backboard-Zerschmetterer und NBA-Spieler Darwin Ham (damals Milwaukee Bucks) war. Die Hymne „Still D.R.E.“ rief morgens immer alle Camper zur Tagesbesprechung zusammen. Hip Hop, Basketball und Baggy Pants waren unter Rap-Gott Dr. Dre zur Jugendkultur verschmolzen.

    Doch zurück in die Gegenwart: Vor mir liegt „Compton. A Soundtrack by Dr. Dre“ und ich bin nervös. Nervös, weil Dr. Dre mich 16 Jahre hat warten lassen. Basketball gucke ich heute als gesitteter Dauerkartenbesitzer gemütlich im Bonner Telekom Dome. Die Basketball-Ikone meiner Jugend, Kobe Bryant, ist 37 und wird dieses Saison vielleicht zum letzten Mal die alten Knochen über das Parkett tragen und ich werde hoffen, dass sie ihn dabei nicht im Stich lassen. Im Stich lassen, wie meine eigenen Knie und Gelenke. Die machen Basketball nämlich auch nicht mehr so richtig mit wie früher. Und die Baggy Jeans von damals ist längst wieder zu normalen Jeans eingelaufen. Musikalisch bewege ich mich mittlerweile wieder näher am Indierock als in den Gefilden der Rapmusik. Nur noch meine Sammlung von Retro-Jordans im Flur erinnert an die glorreiche Zeit, in der Rap und Basketball mein Leben waren.

    Zweifel am Erlöser

    Jetzt überlege ich, ob mich das neue Album „Compton“ von Dr. Dre überhaupt noch erreichen kann. Oder ob es mich enttäuschen muss, weil mein Leben sich in den letzten 16 Jahren anders entwickelt hat als es mir „2001“ als Teenager vorschwebte. Aber was kann schon passieren? Bestenfalls bringt es die gute alte Zeit für ein paar Minuten zurück. Schlimmstenfalls enttäuscht es halt. Trotzdem denke ich: Es darf nicht enttäuschen! Dr. Dre hat nach „2001“ ein Album namens „Detox“ angekündigt und das Release-Date kontinuierlich nach hinten verschoben, bis wirklich schon kaum noch einer an ein Erscheinen der Scheibe geglaubt hat. Und plötzlich, wie aus heiterem Himmel, fühlt sich der alte Mann inspiriert, wirft „Detox“ weg und klebt ratz-fatz ein neues Album zusammen. Als wäre es wieder 1999. Die Inspiration hat Dre sich aus dem Film „Straight Outta Compton“ geholt, der seinen Werdegang als Rapper/Producer erzählt und grade in den Kinos angelaufen ist. Als wolle er sagen: „Schau her, Welt! Ich habe es immer gekonnt, hatte aber einfach keinen Bock!“

    Und ich sitze vor seiner neuen CD und grübel, ob es vielleicht besser gewesen wäre, wenn Dre weiterhin keinen Bock gehabt, „Detox“ ein Phantom geblieben wäre und wir uns alle einfach an diesem heimeligen Gefühl der Vergangenheitsverklärung wärmen würden, dass an die Erinnerungen von „The Chronic“ und „2001“ geknüpft ist. Als Michael Jordan 2001 zum zweiten Mal in die NBA zurück gekommen ist, war das zwar cool, aber er war einfach nicht mehr der Selbe….

    Vernichte oder erlöse mich, Dr. Dre!

    Aber nützt ja alles nix! Rein in den CD-Player und auf Play gedrückt. Allein die Tatsache, dass ich auf den Release gewartet, wirklich eine physische CD gekauft und das Ding nicht schon lange gestreamt habe, beweist doch, dass ich ein rückwärtsgewandter Dinosaurier bin. Vernichte oder erlöse mich, Dr. Dre!

    Das Intro dröhnt los und erinnert mich wohlig an die Intros von „The Chronic“ und „2001“. Der erste richtige Track „Talk About It“ pumpt und stampft über mein Trommelfell hinweg. Und es ist als wäre Dre nie weg gewesen. Als wäre es wieder „2001“. Ich habe fast ein wenig Pipi in den Augen. „Wie konnte ich nur zweifeln, Meister?“, stammele ich kleinlaut. Und so geht das weiter: Mittlerweile bin ich bei Track 6 von 16 angelangt und immer noch massieren Bässe fetter als alle „Deine Mutter-Witze“ zusammen meine Hirnhaut. Plötzlich passiert es: Der tote Eazy-E spuckt mir rotzfrech ins Ohr, dass mir ein Schauer den Rücken runter läuft.

    Track 8, Halbzeit. Jetzt steht Ice Cube im Studio und hat „Issues“. Ich glaub ihm das. Wütend klingt er. Wie früher. Track 10, Snoop Dogg ist dran und tut seine Pflicht. Vor meinem inneren Auge formen sich Menschen zu Kötern. Kurz vor Albumende lässt sich auch Eminem blicken und sticht Nadeln in mein Kleinhirn. Ach ja: Dr. Dre rappt zwischendrin natürlich auch immer wieder rum. Aber das ist ja fast nebensächlich.

    Wer kommt mit ins Kino, „Straight Outta Compton“ gucken?

  • Ein Hoch auf die Spießigkeit!

    In einem schwarzen Fotoalbum mit ’nem silbernen Knopf.
    Bewahr ich alle diese Bilder im Kopf.
    Ich weiß noch damals, als ich jung und wild war im Block.
    Ich bewahr mir diese Bilder im Kopf.

    Sido. War das nicht dieser Typ mit dem Arschficksong? Dieser Typ mit der Maske, der den Weihnachtsmann kalt machen wollte? War das nicht früher mal dieser Typ, den wir beim Radio mit unserem „best(getestet)en Mix“ nie, aber auch wirklich nie gespielt hätten, aus Angst unsere Hörer könnten vorzeitig ableben?

    Verrückte Welt: Plötzlich läuft Sido auch „in Ihrem Lokalradio“ und alle nicken sie mit. Es gibt nur zwei Erklärungen für dieses Wunder:

    1. Rap/Hip-Hop ist gesellschaftsfähig geworden.
    2. Sido ist gesellschaftfähig ein langweiliger Spießer geworden.

    Wahrscheinlich liegt die Wahrheit irgendwo in der Mitte. Fakt ist: Sido, 32 und mit bürgerlichem Namen Paul Hartmut Würdig geheißen, ist mittlerweile verheiratet und hat ein Kind. Und immer nur den postpubertären Großstadtrüpel zu geben wird ja auf Dauer auch irgendwie langweilig.

    Seltsamer Weise sind mir aus meinem Nebenfachstudium der Germanistik ( = Bücher lesen und drüber quatschen) ein paar Sätze im Gedächtnis geblieben. Sie stammen von Georg Philipp Friedrich Freiherr von Hardenberg, der ähnlich wie Sido einen etwas kürzeren Künstlernamen bevorzugte: Novalis. Die Sätze gehen – frei kombiniert – jedenfalls so:

    Vielleicht lieben wir alle in gewissen Jahren Revolutionen […] Aber diese Jahre gehen bei den meisten vorüber.

    Mit der Verheiratung ändert sich das System. Der Verheiratete verlangt Ordnung, Sicherheit und Ruhe […] Er sucht eine echte Monarchie.

    Spießig: Feste Freundin.
    Spießig: Feste Freundin.

    Da ist Oppa Sido nicht weit, wie er mit seiner verblichenen Maske in einer Wohneinrichtung für Senioren sitzt, lauwarme Jacobs Krönung durch die Dritten zieht, seine Stützstrümpfe zurechtrückt und sentimental durch sein Fotoalbum mit ’nem silbernen Knopf blättert: „Früher war alles besser, Kinder. Wir hatten ja nix!“

    Ernsthaft: Sidos Bilder im Kopf (konserviert und archiviert, paraphiert und nummeriert) sind analog! Obwohl Sidos Album einen kecken Hashtag im Titel führt, ist es als Best-Of doch eine Retroperspektive. Heißt: Oppa erzählt vom Krieg.

    Fakt ist: Sido bekennt sich mittlerweile zum Spießertum und fährt gut damit. Das hat er in einem Interview mit der WELT bestätigt, das hat seine Frau in einem Interview mit der WELT bestätigt.

    Und auch ich find’s geil! Ja, wirklich: Mir gefällt der neue Sido. Musikalisch wie inhaltlich. Da zieht jemand Zwischenbilanz und ist im Großen und Ganzen zufrieden mit sich.

    Auch ich bekenne mich öffentlich zum Spießertum! Ich lebe in einer festen Beziehung, koche gerne, mag Gesellschaftsspiele und fühle mich mittlerweile auf WG-Feten deutlich wohler als in Discos/Clubs.

    Als ich neulich mit meiner Freundin beim abendlichen Zappen in eine dieser RTL2-„Dokus“ geraten bin, in der sich eine Horde hormonüberfluteter Hackfressen bei ihren erbarmungswürdigen samstagabendlichen Balzversuchen filmen ließen, war ich schlagartig heilfroh, dass ich in einer spießigen Beziehung lebe und nicht halbbesoffen irgendwelchen aufgetakelten Tussis im Halbdunkel beim in-die-Ohren-Brüllen ins Gesicht spucken muss, weil Usher mit 600 db jeden menschlichen Kommunikationsversuch im Ansatz erstickt.

    Spießig: Kochen.
    Spießig: Kochen.

    Ernsthaft: Hab nie verstanden, warum ausgerechnet die Disco ein Ort sein soll, an den man Menschen kennen lernen kann…

    Danke Sido, dass ausgerechnet Du jetzt der Botschafter für Werte und Spießigkeit bist! Der Airplay-Einsatz im so genannten „Dudelfunk“ erhebt Dich auf eine Stufe mit Reihenhaus, Volvo und Schrebergarten und zeigt auch, dass die Zeit vorbei ist, in der man mit Rap noch provozieren konnte. Gangsta-Rap ist tot, die Fans von einst ziehen ihre Hosen hoch und gründen Familien (in diesem Falle ziehen sie die Hosen wohl noch mal kurz runter) oder erleben schon die erste Scheidung.

    Ich erkenne mich in Dir wieder Sido – und find’s gar nicht mal schlimm.