Schlagwort: Ihre Kinder

  • Zeitmaschine

    Die Zeit wird kommen, in der mich mein eigener Nachwuchs fassungslos anstarren wird, nachdem ich ihm mitgeteilt habe, dass ich früher Musik auf CDs und Filme auf DVDs geschaut habe. Für noch irritiertere Blicke wird dann meine Aussage sorgen, nach der ich ganz früher sogar noch Musik auf Kassette abgespielt und aus dem UKW(!)-Radio aufgenommen habe und mich auch noch an eine Zeit erinnern kann, als Texte auf Schreibmaschine (ohne @-Zeichen!) geschrieben wurden und Telefone noch eine Wählscheibe hatten.

    Ich werde mir dann zwar steinalt vorkommen, aber das ist dann halt so. Vielleicht kommt mir die analoge Einöde dann in der Rückschau sogar wie das Paradies vor, wenn ich mit tränenverklärtem Blick an das rauschige Bild einer VHS-Kassette zurückdenke. Gegen technischen Fortschritt ist natürlich generell nichts einzuwenden, aber ich muss schon zugeben, dass Technologiestandards noch nie so kurzlebig waren wie heute.

    So wie meinen ungeborenen Kindern ging es mir neulich auch mal: Davon wie Papa beinahe den Deutschrock erfand habe ich an anderer Stelle zwar schon berichtet. Trotzdem muss ich hier zum allgemeinen Verständnis noch einmal einen Kurzabriss dieser Episode geben: Im Nachlass meines Papas fanden sich einige Tonbänder. Und zwar die „guten alten“ 1/4 Zoll-Rollen, die später durch die etwas handlichere Musikkassette abgelöst wurden. Eine Technik vor meiner Zeit also.

    Auf diesen Bändern fanden sich Aufnahmen von einer Band, in deren Gründungsphase mein alter Herr mitgewirkt hatte. Eine Band aus der Ursuppe des Deutschrocks. Einer Zeit, in der Udo und die Scherben noch mit der Rassel um den Weihnachtsbaum gesprungen sind (um es mal stark verkürzt auf die Spitze zu treiben). „Ihre Kinder“, wie sie sich später nannten, wagten etwas damals sprichwörtlich unerhörtes: Rockmusik mit deutschen Texten. Der ganz große Erfolg und wahrscheinlich auch die nötige Anerkennung blieb der Band verwehrt, auch wenn sie (schon nach dem Ausstieg meines Papas) mehrere LPs (wieder so ein altertümliches Wort!) rausbrachte, um dann später im Streit mit dem Produzenten auseinander zu brechen.

    Papa am Bass
    Papa als 19-Jähriger.

    Mit dem Demotape in den Händen, mit dem die Band später einen Plattenvertrag an Land ziehen sollte, stand ich anfangs etwas hilflos da: Schließlich fehlte mir ein geeignetes Abspielgerät, ganz abgesehen davon, dass ich überhaupt nicht wusste, wie man ein solches Band einlegt, abspielt oder gar flickt. In meinem ersten Forscherdrang, dem der erste Blog-Artikel über die Gründungsphase der „Kinder“ entstammt, war die Beherrschung der altertümlichen Technik aber etwas, das ich getrost vernachlässigen konnte. Schließlich hatte ich einen netten Radiokollegen gefunden, der mir das Band auf hohem technischen Niveau digitalisieren konnte.

    Das Problem damals: Die Bandmaschine des Kollegen konnte die Geschwindigkeit, mit der das Band ursprünglich aufgenommen war, nicht wieder geben. Das Problem habe ich damals in der Nachbearbeitung gelöst. Trotzdem gelang es mit besagtem Gerät nicht, ALLE Demolieder des Bandes hörbar zu machen, weil mein Vater das Band auch mehrfach in diversen Geschwindigkeiten überspielt hatte (ich erspar euch mal technische Details).

    Kurz gesagt: Die Lösung des Problems war der Kauf einer Studer ReVox-Bandmaschine aus den späten 60ern. Ich hatte nämlich neben dem noch nicht ganz ausgereizten Demoband noch einen Haufen weiterer Bänder von Papa geerbt, die ich bis zum jetzigen Zeitpunkt immer noch nicht alle durchhören konnte. Jetzt musste ich mich der alten Technik stellen und zum Glück hatte der ebay-Händler noch eine Kopie der alten Bedienungsanleitung dazugelegt.

    Ich wills gestehen: Ich habe mich vermutlich im Umgang mit den Bändern angestellt wie der sprichwörtlich erste Mensch. So wie ich mich heute über 14-Jährige lustig machen würde, die nix mit einer Telefonwählscheibe anfangen können, hätte ich wohl auf meinen Vater gewirkt, wenn er das Elend hätte mit ansehen müssen. Nach einem ganzen Bandsalatbuffet und mehreren Kilometern von Hand zurück aufgewickeltem Band, weiß ich aber immerhin jetzt wie’s geht.

    Jedes Mal wenn ich die schwergängigen Knöpfe der Bandmaschine drücke, komme ich mir vor, als ob ich eine Zeitmaschine bediene. Denn ich reise tatsächlich zurück in die Jugend meines Vaters, höre was er sich von eigenen Platten oder von Freunden aufgenommen hatte. Vor allem konnte ich aber die Musik, die er als knapp 20-Jähirger selbst gemacht hat, wieder „auf die Bühne bringen“. Ein Stück Auferstehung also.

    Ein Revival vor meinem Ohr feierte zum Beispiel ein fast 50 Jahre alter Sound: Auf einem der Bänder war nämlich ein Mitschnitt eines Auftritts von „Empire State Building“ in Herzo Base aus dem Jahr 1967. Die Band, die da spielte, verdiente sich ihre Kohle sozusagen als Live-Jukebox. Sie spielte Blues-, Rock- und Soulklassiker der Zeit vor amerikanischen Soldaten.

    [soundcloud id=’139525949′]

    Ich kann mir jetzt also die Mukke anhören, mit der mein 19-jähriger Vater vermutlich sein Taschengeld aufgestockt hat. Gleichzeitig kann ich aber auch der Metamorphose einer Band beiwohnen. Und zwar vom Zitieren amerikanischer Tanzmusik-Vorbilder zum Erschaffen eines eigenen, neuen Ausdrucksmittels. Denn aus „Empire State Building“ wurden wenig später „Ihre Kinder“.

    Damals stand die Band vermutlich vor ihrem kreativen Schub, aus dem letztlich der deutschsprachige Rock hervorging. Ich höre also den Übergang vom Imitieren zum Generieren. Spannend!

    Was mir mit meiner „neuen“ Bandmaschine aber auch noch gelang, war das wieder-hörbar-machen von zwei weiteren „Ihre Kinder“-Songs, die es aus dem Demostatus heraus nie zu einer Veröffentlichung geschafft hatten.

    —An dieser Stelle waren die beiden Songs über soundcloud in den Artikel eingebunden—

    Vielleicht wurden diese beiden Songs von der Band oder der Plattenfirma damals verworfen, weil man eine zu große Nähe zum Schlager fürchtete, von dem man sich damals ja gerade absetzen wollte.

    Neben diesen Entdeckungen im Audioformat habe ich aber auch über den ersten Blogartikel zum Thema viele Menschen kennen gelernt, die damals Zeugen der Nürnberger Musikszene oder gar Freunde und Bekannte meines Vaters waren. Menschen, die er als Jugendlicher kannte, die vielleicht sogar zu seinem Freundeskreis gehörten und die er später vermutlich aus den Augen verloren hat. Mit einigen bin ich über die Zeitreisen mit meinem Tonbandgerät in Kontakt gekommen und mit manchen bin ich jetzt sogar bei facebook befreundet oder habe Mails mit ihnen ausgetauscht.

    Und obwohl all diese Menschen – und das meine ich jetzt wirklich liebevoll – alte Säcke sind, komme ich erschreckend oft nicht umhin, sie mir in ihren Zwanzigern vorzustellen. Eben so wie mein Vater sie kannte. Mein Vater, der jetzt auch ein alter Sack wäre. Dann muss ich mich kurz zusammenreißen und mich zwingen, wieder im Jahr 2014 aus meiner Zeitmaschine auszusteigen. Eine Zeit, in der man mit über das Internet gekaufter, 50 Jahre alter Technik in die Vergangenheit eintauchen und über ebendieses Internet mit Menschen aus dieser Zeit kommunizieren kann.

    Meine Kinder werden das sicher bald ganz schön altmodisch finden.

    +++UPDATE 08. April 2014+++

    Nach ursprünglicher Zustimmung hat der Urheber der „Ihre Kinder“-Songs sein Ok für die Veröffentlichung wieder zurückgezogen, weshalb sie hier nicht mehr zu hören sind. Die Tracklist des Demobands sieht wie folgt aus:

    1. Morgens*
    2. Wo gehst Du hin?
    3. Schwarzer Peter
    4. Plastiki und Plastika
    5. Kinderspiel
    6. Schwarzer Engel
    7. Was kann ich denn dafür?*
    8. Madame
    9. Denn er ließ sie einfach steh’n*
    10. Die Da Du, der Flötenspieler
    11. Wenn Liebe das ist
    12. Der Clown
    13. Wenn es sowas auch vielleicht nicht gibt*
    14. Hallo Sie
    15. Der kleine König
    16. Mädchen
    17. Schwarzer Peter (Alternativversion)
    18. Die Da Du, der Flötenspieler (Alternativversion)
    19. Blumenmädchen*
    20. Kinderspiel (Alternativversion)
    21. Wo gehst Du hin? (Alternativversion)
    22. Morgens (Alternativversion)*
    23. Hallo Sie (Alternativversion)
    24. Der Jahrmarkt des Lebens*

    Titel, die mit einem * markiert sind, sind unveröffentlicht

  • Als Papa beinahe den Deutschrock erfand

    Nürnberg Ende 1968: Sechs Kerle, grade dem Teenager-Alter entwachsen, nehmen unter abenteuerlichen Bedingungen in einer ehemaligen Baracke des Reichsarbeitsdienstes ein Demoband auf. Einer dieser Kerle: Mein Vater. Was sie da aufnehmen ist ein bis dahin nie gehörter Sound: Rockmusik mit deutschen Texten. Zu jener Zeit gehörte die deutsche Sprache nämlich wie selbstverständlich dem Schlager. Denn gerockt wurde auch in Deutschland ausschließlich auf Englisch. Gut ein Jahr später, im Sommer 1969, kommt eine LP auf den Markt, auf der sich fast alle Lieder des Demobands wieder finden. Die Band nennt sich mit Veröffentlichung des Albums „Ihre Kinder“ und hat nun sozusagen auch offiziell den Deutschrock erfunden. Mein Vater war da schon nicht mehr Teil der Band.

    Zwei Dinge muss man sich aus heutiger Sicht klar machen: 1. Mit Rockmusik konnte man zu jener Zeit das so genannte „Establishment“ im Mark erschüttern. Wer lange Haare hatte und Rockmusiker war, war mindestens ein verdächtiges Subjekt. 2. Heute, nach gefühlten Jahrhunderten mit Lindenberg, Ton Steine Scherben (Rio Reiser), Kraftwerk, Falco, Westernhagen, Ärzten, Hosen und Grönemeyer, Selig, Helden und Tocotronic, Sido und Jan Delay ist es kaum vorstellbar, dass es mal ein Zeit gegeben haben soll, in der Rock- und Popmusik mit deutschen Texten unentdecktes Neuland war, das erst mühevoll erobert werden musste.

    Baracke
    Hier wurden die Demos der „Proto-Kinder“ aufgenommen: RAD-Baracken in Nürnberg.

    Doch zurück ins Jahr 1968, zurück in die alte Baracke, zurück also nach Nürnberg. Warum sollte ausgerechnet hier in der Provinz die Keimzelle des Deutschrock gewesen sein, in der sich der Sound der Zukunft entwickelt hat? Musikalische Avantgarde verbindet man heute schließlich eher mit Hamburg oder Berlin, auf keinen Fall aber mit Nürnberg. Von meinem Vater weiß ich aber, dass er als Jugendlicher in Nürnberg in verschiedenen Bands gespielt hat. Damals, Mitte der Sechziger, gab es eine regelrechte Beat-Szene in dieser Stadt. Nürnberg war als ehemalige „Stadt der Reichsparteitage“ Teil der amerikanischen Besatzungszone und voller G.I.s, die natürlich gerne Abends in den Clubs englischsprachige Musik gehört haben. Meine Oma sagt heute noch, dass mein Vater damals „bei die Ami Musik gespielt“ hat. Anscheinend hatte sie aber keine Probleme damit. Aber natürlich nicht nur um bei den „Amis“ Geld zu verdienen, wurde damals auf Englisch gesungen – das Lebensgefühl und somit auch der Soundtrack einer ganzen Generation war englisch und hatte entweder den Stempel UK oder US.

    Dass mein Vater Zeuge und im Grunde auch Mitgestalter einer so spannenden Zeit war, einer Zeit, in der er – wenn auch nur für einen Moment – der Großvater von Cro oder Philipp Poisel war, das hat er eigentlich nie erwähnt. Vielleicht war er dafür einfach zu bescheiden oder es war ihm schlichtweg nicht ganz klar. Ich erinnere mich nur, dass er mal erzählt hatte, dass er in einer Band war, die später ein Album rausgebracht hätte. Ich hab nie genau nachgefragt, er hielt es wohl auch nicht für so wichtig. Und wie das halt so ist: Man interessiert sich immer erst für gewisse Dinge, wenn es zu spät ist. Mein Vater ist tot, ich kann ihn nicht mehr fragen und ich hätte die Sache mit seiner frühen musikalischen „Karriere“ auch nicht weiter verfolgt, wenn ich in seinen Sachen nicht eine gebrannte CD mit der Aufschrift „Ihre Kinder – First Demos“ gefunden hätte.

    In der CD-Hülle: Der Name und die Anschrift eines mir Unbekannten, notiert in der Handschrift meines toten Vaters. Außerdem fand sich in Papas Aktenschrank eine kleine Sammlung von Zeitungsausschnitten über seine Jugendbands, darunter auch Ausschnitte über „Ihre Kinder“. Diese Sammlung reichte weit über die Zeit hinaus, in der er selbst Teil der Band war. Die Geschichte der „Kinder“ scheint ihn also weit über sein Mitwirken hinaus interessiert zu haben. Nachdem ich mich dann erst mal über „Ihre Kinder“ schlau gemacht hatte und auch auf den einestages-Artikel des spiegel gestoßen war, in der die Band als die „Großväter des Deutschrock“ geadelt werden, war meine Neugierde endgültig geweckt: Ich beschloss den geheimnisvollen Unbekannten aus der CD-Hülle ausfindig zu machen.

    Mit etwas Grips und den Möglichkeiten des Internets war es relativ leicht, die Telefonnummer des Unbekannten herauszufinden: Es stellte sich heraus, dass mein alter Herr noch kurz vor seinem Tod mit einem Musikliebhaber/-sammler in Kontakt stand, der Erinnerungen über die damalige Beat- und Rockszene rund um Nürnberg zusammen getragen hatte. Mein Vater hatte ihm Bildmaterial aus seinem privaten Jugend-Fotoalbum zur Verfügung gestellt und auch das Demoband der „Kinder“, das dieser dann schließlich auf CD gezogen hatte. Das 1/4 Zoll-Originaltonband musste also noch irgendwo sein und tatsächlich habe ich es schließlich auf einem alten sowjetischen Tonbandgerät auf dem Dachboden meines Elternhauses wieder gefunden. So war es mir möglich dieses einzigartige Tondokument mit wohlwollender Hilfe eines lieben Kollegen und etwas digitaler Nachbearbeitung meinerseits wieder zum Vorschein zu bringen.

    Die Qualität meiner Bandkopie übertraf die Qualität der gebrannten CD um Längen und obwohl ich noch nicht einordnen konnte, was genau ich da eigentlich wieder hörbar gemacht hatte, war ich beeindruckt von dem Material: Mit welcher erstaunlichen musikalischen Reife sich die Band Anfang ihrer Zwanziger im Repertoire von Rock, Jazz, Folk und Blues bediente und auskannte und sich gleichzeitig abmühte eine eigene Sprache zu finden, nötigt mir immer noch großen Respekt ab. Ich beschloss mir die Platten der „Kinder“ über amazon zu besorgen und begann meine Entdeckungsreise mit dem offiziellen Debut der Band „…ihre kinder“.

    Von den zwölf Liedern der Debut-LP waren bereits zehn auf dem Demotape zu hören („Mädchen“, „Kinderspiel“, „Madame“, „Hallo, Sie“, „Der Clown“, „Schwarzer Engel“, „Wenn Liebe das ist“, „Palstiki und Plastika“). Vielleicht interessanter sind aber die fünf Titel, die es später nicht auf eine offizielle „Kinder“-Veröffentlichung geschafft haben: „Morgens“, „Wo gehst Du hin?“, „Denn er ließ sie einfach steh’n“, „Di Da Du, der Flötenspieler“, „Wenn es sowas auch vielleicht nicht gibt“. Vielleicht waren auf dem Tape sogar noch mehr Lieder – gegen Ende der Demoaufnahmen ist das Band nämlich einmal überspielt worden – zu hören ist dann plötzlich „Get Back“ von den Beatles.

    Spätestens jetzt war ich mehr als bereit herauszufinden, wer von der Urbesetzung der „Kinder“ noch am leben war und Auskunft geben konnte über das was ich da gehört hatte. Da mir auf Grund der Geschichte meines Vaters zu diesem Zeitpunkt schon klar war, dass die Urbesetzung der „Kinder“ sich nicht mit der Bandbesetzung bei Erscheinen der ersten LP deckte und dass bei Wikipedia unter dem Stichpunkt „Gründungsmitglieder“ eh nur unzutreffende Mutmaßungen stehen, stand meine Detektivarbeit vor einem frühen Scheitern. Hilfe kam aber zum Glück von meinem toten Papa selbst: Er hatte – wohl noch in seinen letzten Lebensjahren – die Bandfotos in seinem Fotoalbum mit Zetteln versehen, auf denen die Namen der fotografierten Personen zu lesen sind.

    Proto-Kinder
    „Empire State Building“, aus denen später „Ihre Kinder“ hervorgingen: Kalle Mack (hinten links), Peter Schmidt, Sonny Hennig, Charly Mäder, Walti Schneider (vorne links), Muck Groh

    Mit ein bisschen Recherche, von der ich gleich noch etwas näher berichten möchte, fand ich folgendes heraus: Anders als bei Wikipedia zu lesen ist, gingen die „Kinder“ Ende 67/Anfang 68 aus der Soulband „Empire State Building“ hervor. Damals schon (neben Papa) an Bord: Sonny Hennig, Muck Groh, Walti Schneider. Diese drei sind der Kern der „Kinder“ und auch auf der Debut-LP dabei. Dazu kamen ab diesem Zeitpunkt noch Olders Frenzel, Georgie Meyer und Judith Brigger. Ernst Schultz, der ebenfalls für die Entwicklung der „Kinder“ wichtig war, kam erst ab der zweiten LP „Leere Hände“ dazu. Hennig und Schultz kannten sich aber vorher schon durch ihre Band „Jonah & The Whales„, bei der auch Kinder-Produzent und -Mäzen Jonas Porst schon mitmischte.

    Daher nehme ich an, dass folgende Personen an den „Kinder-„Demobänder beteiligt waren: Sonny Hennig, Walti Schneider, Muck Groh, Charly Mäder, Peter Schmidt und Kalle Mack. Ein im Internet aufrufbarer Auszug über die „Kinder“ aus dem 1996 erschienenen Buch „Cosmic Dreams at Play – A guide to German Progressive and Electronic Rock“ scheint das auch weitestgehend zu bestätigen:

    (…) in 1968, Jonas Porst and Sonny Hennig decided to form a new group with Muck Groh (guitar), Karl Mack (bass), Peter Schmidt (drums) and Georgie Meyer (flute, vocals). Ihre Kinder was to be a politically aware band using German lyrics. (…) Several demo tapes were recorded but no record companies were interested. In July – August 1969 an album was recorded at the Dierks Studio at the band’s own risk; and was eventually released by Phillips. Mack had now been replaced by Walti Schneider (bass). A female vocalist, Judith Brigger, also took part in this project.

    Und mit diesem kleinen Bogen über die Bandgeschichte komme ich zurück zu meiner Suche nach der musikalischen Vergangenheit meines Papas: Wenn jemand etwas zu den Demobänder und zur frühen Bandgeschichte der „Kinder“ sagen konnte, dann waren es – natürlich – die Gründungsmitglieder bzw. die Musiker des Demobandes. Walti Schneider war – wie mein Vater – bereits verstorben. Muck Groh hat meine schriftlichen Anfragen nie beantwortet.

    Mit wem ich tatsächlich schriftlich und dann auch telefonisch in angenehmen Kontakt gekommen bin ist Sonny Hennig. Heute hat er mit Musik „nur“ noch im Radio zu tun: Er sendet in Nürnberg bei Radio Gong mit „Rock Zock Reloaded“ eine eigene Musikshow. Nach den „Kindern“ hat sich Sonny (offenbar schwer unter dem Einfluss von AFN) eine zweite Karriere im Rundfunk aufgebaut. Er konnte mir viel über die aufregenden Jahre mit „Ihre Kinder“ erzählen. Auch zu den Demobändern erinnerte er sich an interessante Geschichten: Mit den Bändern unter’m Arm hat er demnach damals versucht einen Plattenvertrag an Land zu ziehen und hat das Material auch einer Platenfirma in Hamburg vorgelegt, die mit Deutschrock allerdings so gar nix anzufangen wusste und ihm riet „mehr wie Roy Black“ zu klingen, dann könne das vielleicht was werden.

    Meinen Vater hatte er als guten Bassisten und netten Kerl in Erinnerung. Natürlich wollte ich von Sonny auch wissen, warum mein Vater damals die Band verlassen hat. So ganz genau konnte er das zwar auch nicht mehr sagen, aber wir beide erklären es uns so, dass mein Vater das Wagnis, als Musiker auf den Durchbruch zu hoffen, nicht eingehen und lieber Beamter werden wollte. Das sieht ihm jedenfalls ähnlich und wenn man bedenkt, dass die „Kinder“ trotz nationalem TV-Auftritt bei „Wünsch Dir was“ und nach mehreren Studio-LPs nie ganz groß rausgekommen sind, scheint die Entscheidung meines alten Herren rückblickend für ihn ja die richtige gewesen zu sein. Die Lorbeeren als erste mit deutscher Rockmusik durchschlagende Erfolge gefeiert zu haben, haben jedenfalls Udo Lindenberg und Rio Reiser geerntet. Die „Kinder“ waren vermutlich damals textlich etwas zu „verkopft“, später vielleicht zu „politisch“ und hatten möglicher Weise auch einfach das Pech, nicht nach Hamburg oder Berlin gegangen zu sein.

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    Abschließend habe ich mich nach langem Überlegen dazu entschlossen, die bisher unveröffentlichten Lieder des „Ihre Kinder“-Demobands und einige ausgewählte Demoversionen von später veröffentlichten Songs bei soundcloud hochzuladen. Ich bin der Überzeugung, dass dieses Material den Urknall des deutschsprachigen Rocks darstellt und deshalb gehört werden sollte, auch wenn die „Ur-Kinder“ dieses Material nie zur Veröffentlichung produziert haben. Hier erst einmal die fünf Demos, die unveröffentlicht sind:

    —An dieser Stelle war der entsprechende Song über soundcloud in den Artikel eingebunden—

    Ein Song, der von einer pumpenden Orgel und harten Gitarrenriffs begleitet wird. Wirkt  auf mich textlich noch nicht ganz ausgefeilt und etwas diffus.

    —An dieser Stelle war der entsprechende Song über soundcloud in den Artikel eingebunden—

    Ein Stück mit jammernder Mundharmonika, Klavier und mehrstimmigem Backgroundgesang im Chorus. Zwischendurch unterhalten sich Mundharmonika und E-Gitarre. Dazu die Frage „Wo gehst Du hin?“. Ein waschechter Blues auf Deutsch!

    —An dieser Stelle war der entsprechende Song über soundcloud in den Artikel eingebunden—

    Wieder Mundharmonika und Blues-Stimmung. Eine unerwiderte Liebe, ein uneheliches Kind. Skandal-Material zu jener Zeit.

    —An dieser Stelle war der entsprechende Song über soundcloud in den Artikel eingebunden—

    Scheinbar kindliche Elemente finden sich bei den frühen Kindern häufiger. Der „Flötenspieler“ klingt wie ein lustiges Kinderlied, geht textlich aber tiefer. Driftet gegen Ende etwas ins Groteske ab.

    —An dieser Stelle war der entsprechende Song über soundcloud in den Artikel eingebunden—

    Das vielleicht experimentellste Lied aus den Demos. Der Backgroundgesang im Chorus schwankt zwischen Bierzelt und Seemannsgesang, die Zwischenrufe sind ungewöhnlich und ihrer Zeit vielleicht etwas voraus. Das Klavierspiel zur Mitte hin gehtin Richtung Boogie Woogie.

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    Zu guter Letzt drei Demoversionen von Songs, die später leicht verändert auf dem Album „…ihre Kinder“ gelandet sind:

    —An dieser Stelle war der entsprechende Song über soundcloud in den Artikel eingebunden—

    In dieser Demoversion dachte ich erst, der Sänger könnte vielleicht mein Vater sein, aber auf Nachfrage sagte mir Sonny Hennig, dass es sich um seine Stimme handelt. In der späteren Version auf der Kinder-Debut-LP wird „Schwarzer Engel“ von Judith Brigger gesungen. Die Demoversion klingt außerdem weniger synthetisch als die Albumversion.

    —An dieser Stelle war der entsprechende Song über soundcloud in den Artikel eingebunden—

    Auch die spätere LP-Version wird von Judith Brigger gesungen. Im Demostatus klingt auch“Plastiki und Plastika“ „analoger“ und weist zusätzlich auch nicht den ausufernden Klangteppich am Liedende der späteren Albumversion auf.

    —An dieser Stelle war der entsprechende Song über soundcloud in den Artikel eingebunden—

    Die Demoversion von „Schwarzer Peter“ klingt noch etwas behäbiger. In der Albumversion kommt die Stimme von Judith Brigger im Chorus dazu, ebenso kommt eine Querflöte zum Einsatz, die im Demo noch „fehlt“. Im Chorus der Demoversion singt die Band Backgroundvocals.

    +++UPDATE 08. April 2014+++

    Nach ursprünglicher Zustimmung hat der Urheber der „Ihre Kinder“-Songs sein Ok für die Veröffentlichung wieder zurückgezogen, weshalb sie hier nicht mehr zu hören sind. Die Tracklist des Demobands sieht wie folgt aus:

    1. Morgens*
    2. Wo gehst Du hin?
    3. Schwarzer Peter
    4. Plastiki und Plastika
    5. Kinderspiel
    6. Schwarzer Engel
    7. Was kann ich denn dafür?*
    8. Madame
    9. Denn er ließ sie einfach steh’n*
    10. Die Da Du, der Flötenspieler
    11. Wenn Liebe das ist
    12. Der Clown
    13. Wenn es sowas auch vielleicht nicht gibt*
    14. Hallo Sie
    15. Der kleine König
    16. Mädchen
    17. Schwarzer Peter (Alternativversion)
    18. Die Da Du, der Flötenspieler (Alternativversion)
    19. Blumenmädchen*
    20. Kinderspiel (Alternativversion)
    21. Wo gehst Du hin? (Alternativversion)
    22. Morgens (Alternativversion)*
    23. Hallo Sie (Alternativversion)
    24. Der Jahrmarkt des Lebens*

    Titel, die mit einem * markiert sind, sind unveröffentlicht